Endo hatte die Gabe, Dinge in zwei, drei Worten treffend zu beschreiben

Endo hatte die Gabe, Dinge in zwei,  drei Worten treffend zu beschreiben
Endo Anaconda bei einem Interview im Jahr 2017 in seiner Wohnung in Trub. Stephanie Schmid
Trub: Letzte Woche ist Endo Anaconda 66-jährig gestorben. Wir blicken zurück auf seine ersten Konzerte in Bern und auf sein Talent, Dinge trefflich zu beschreiben.

Mit Endo Anaconda verliert die Schweiz den wohl genialsten Liedermacher seit Mani Matter. Doch wer war dieser als Andreas Flückiger in Burgdorf geborene Mann, der in den letzten Jahren vermehrt in Trub lebte und somit eine enge Verbindung zum Emmental hatte?


Die Suche nach dem Gleichgewicht

Endo wurde früh vom Leben gezeichnet. Er war vierjährig, als sein Vater bei einem Autounfall ums Leben kam. Später wurde er in Österreich in ein katholisches Internat gesteckt. Die Prügelstrafe war an der Tagesordnung. Von diesen Traumata hat er sich nie erholt. Ein ewiges Suchen nach dem inneren Gleichgewicht, und der stetige Kampf gegen Alkohol und Drogensucht waren wahrscheinlich die Folge seiner traumatischen Kindheit.

Mit Wonne erinnere ich mich an die allerersten Konzerte seiner damals noch völlig unbekannten Band «Stiller Has». Sie fanden mitten in der Bundeshauptstadt in stickigen Kellerräumen besetzter Häuser statt. Für Bern war diese Band ein Quantensprung: Solche Texte mit Wortspielereien, die immer wieder ins Absurde kippten, hatte man in dieser behäbigen Stadt noch nie vernommen. So etwas spaltete die Zuhörerschaft augenblicklich. Während der grösste Teil des Publikums den Raum fluchtartig verliess, blieben einige wenige Zeitgenossen wie angewurzelt stehen – als wären sie hypnotisiert. Nie hätte ich zu dieser Zeit auch nur im Ansatz vorausgesehen, dass diese Band einmal zu einer der populärsten der Deutschschweiz gehören könnte.


Auf den Punkt gebracht 

Was aber ist es, das Endo Anaconda meterweise über seine Kollegen in der Liedermacherzunft herausragen lässt? Endo hatte die unglaubliche Gabe, Stimmungen und Menschen mit zwei, drei perfekt gewählten Worten derart treffend zu charakterisieren, dass einem der Atem stockt. Da ich in Muri an der Aare aufgewachsen bin, hat das Lied «Aare» für mich eine ganz besondere Bedeutung. Eine Jugend lang habe ich beobachtet, wie die High-Society ihre Hündchen am Fluss spazieren führt. Doch erst Endo gab mir die richtigen Worte, um mit dieser Realität fertig zu werden: «Gynäkologe jogge mit irne Dogge dr Aare na.» Als Teilzeitangestellter diverser Musikschulen musste ich mich zudem mit mindestens 15 Schulhausabwarten zurecht finden. Und ich kann bestätigen: Präziser als Endo seinen Abwart, den Hene, charakterisiert, kann man es nicht formulieren: «Är treit si Bäse wi nes Gwehr.» Zudem hat Endo die wohl grossartigste Metapher der ganzen Literaturgeschichte geschaffen. Sie lautet: «Verlore wie ne Gaggu schwäb i dür z lääre All.» Niemand hat die Enge, Absurdität, Perspektivlosigkeit und Spiessigkeit des Alltags treffender beschrieben als Endo Anaconda. 

Im vergangenen November durfte ich Endo Anaconda noch einmal in absoluter Hochform live erleben. Letzte Woche ist er unerwartet einem erst kürzlich entdeckten Krebsleiden erlegen.

10.02.2022 :: Anton Brüschweiler