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Ignorieren der Gesundheit zuliebe

«Ach, das weisst du nicht mehr?» oder «Kannst du dich an den nicht mehr erinnern?». Mit diesen Fragen werde ich häufig konfrontiert – und komme mir dann vor wie eine Ignorantin, die ein Gedächtnis hat wie ein Nudelsieb. Doch kürzlich stiess ich auf einen Artikel, der mich beruhigte. 

Der Mensch sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er nach Wissen strebe, so die weitverbreitete Überzeugung in der Philosophie, hiess es darin. Wie aber sei das damit zu vereinbaren, dass wir etwas ganz und gar nicht wissen wollen? Etwa, wer in der nächsten Folge unserer Lieblingsserie stirbt oder was im Weihnachtspäckchen steckt, das wir im Schrank entdeckt haben? 

Nichtwissen ist Bääh, Wissen ist Macht? So ticken vor allem Philosophen. Doch eine Ausnahme gäbe es: Friedrich Nietzsche! Er fragte schon im 19. Jahrhundert, ob nicht Unwissen für ein gelingendes Leben viel dienlicher sei als Wissen. Nicht umsonst gibt es den gern verwendeten Satz: «Das willst du gar nicht wissen!»

Was bei Nietzsche eher als Gedankenspiel daherkam, wird heute am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin untersucht. Dort haben Psycho­logen einen ganzen Sammelband über «gewolltes Nichtwissen» veröffentlicht. Das Fazit: Es gibt viele Beispiele, wo wir aus sehr rationalen Gründen bestimmte Dinge ignorieren. Denken Sie nur mal daran, wie es Ihnen geht, wenn Besuch kommt. Wochenlang gehen wir an unaufgeräumten Ecken oder Staub auf dem Regal vorbei. Kommt jemand von aussen, wird hektisch aufgeräumt und zum Staubtuch gegriffen. Jeden Tag entscheiden wir somit, was wir wissen wollen. In einer Studie gab es ein erstaunliches Beispiel: Genetische Untersuchungen auf die Anfälligkeit für tödliche vererbbare Krankheiten wie Corea Huntington (eine grauenhafte Gehirnerkrankung) sind heutzutage kein Problem: Ein Gentest kann Klarheit schaffen, ob ein Mensch daran erkranken werde oder nicht. In den meisten Fällen würden sich aber Angehörige der Risikogruppe gegen einen solchen Test entscheiden – weil die psychische Belastung einfach zu gross ist. Sogenannte Fake News, die zuhauf im Netz grassieren, ignorieren wir glücklicherweise auch. Denn unser Gehirn kann zwischen Blödsinn und Echtheit ziemlich gut unterscheiden – Ausnahmen bestätigen die Regel. Gestern sagte mir eine Freundin, sie schaue nicht mehr auf die täglichen Corona-Zahlen. Sie wisse, dass sie geimpft und geboostert sei, mehr könne sie nicht tun.
Ignoranz, richtig angewendet, kann also ungemein lebenserleichternd sein.

 

16.12.2021 :: Christina Burghagen (cbs)