«Weisch no?» Die alten Postkarten wecken Erinnerungen

«Weisch no?» Die alten Postkarten wecken Erinnerungen
Oberburg war einst ein Paradies auf Erden: Diesen Eindruck gewinnt, wer sich einige der alten Post- karten anschaut. / Bild: Gertrud Lehmann (glh)
Oberburg: Die Präsentation der Sammlung alter Postkarten – organisiert vom Verein Kultur in Oberburg – fand grossen Anklang. Und sorgte für Schmunzeln.

Martin Schwander als Organisator und Ueli Müller als Postkartensammler freuten sich über den Grossaufmarsch an diesem Sonntagmittag in der Aula. Das wunderbare Wanderwetter musste warten – die Ausstellung lockte viele, themenbedingt meist ältere Einwohnerinnen und Einwohner an.

Bei Grossmutter in den Ferien durfte Ueli Müller manchmal die grosse Pralinéschachtel holen. Darin war keine Schokolade, sondern eine Menge Postkartengrüsse. «Diese schauten wir zusammen an», erinnert er sich. Doch ihn faszinierten eher die Briefmarken auf der Rückseite, denn er war schon einmal mit dem Vater an einer Börse gewesen und hatte mitbekommen, dass man damit Geld verdienen kann. Also schnitt er die Ecken ab, um die Marken besser lösen zu können. «Dafür könnte ich mir vor Ärger noch heute meine restlichen paar Haare ausreissen», erzählt Müller. Zu spät merkte er, welche Kostbarkeiten er zerstört hatte.


Wichtiger als Whatsapp

Ueli Müller wurde später zum Liebhaber alter Postkarten und Schriften, die eine ansehnliche Sammlung ergaben. An diesem Sonntag zeigte er die Exemplare mit Ansichten vom Dorf, die in alle Welt hinaus verschickt wurden, und wusste dazu Erstaunliches zu berichten. Er kommentierte die mit Hellraumprojektor gezeigten Bilder, während sie im Nebenraum anschliessend als Vergrösserungen angeschaut werden konnten.

Postkarten waren einst so populär wie heute SMS und Whatsapp – oder noch wichtiger, denn man hatte ja noch kein Telefon. Also sandte man einen Gruss aus der Fremde, von Reisen, vom Militär oder von Kuraufenthalten nach Hause. Auch war die Postkarte ein unverfänglicher Kontakt zu Bekanntschaften, die einen nicht vergessen sollten. Geschrieben wurde auf der Vorderseite unter dem Bild, die Rückseite war ursprünglich Adresse und Frankatur vorbehalten.  Mit Tinte und Feder in gestochen scharfen Zügen verfasst, stehen da die Botschaften – heute für viele nicht mehr entzifferbar, weil man damals in der Schule die Altdeutsche Schrift lernte.


Idealisierte Bilder

Oberburg war einst ein Paradies auf Erden: Diesen Eindruck gewinnt man angesichts dieser Bilder. Ein schmucker, altertümlicher Kirchturm in der Mitte war das Wahrzeichen. 1955 musste er einem neuen Turm weichen. Umringt wurde diese Ansicht von Bildern einladender Gasthäuser, allen voran das Wildpark-Hotel Rothöhe, auf dessen Terrasse sich Ausflügler und Gäste aus der ganzen Schweiz und dem Ausland trafen. Von den etwa zehn «Beizen» in und um Oberburg bestehen heute noch deren zwei.Auch viele der schönen, alten Häuser entlang der Strasse sind verschwunden oder verlottert, die grünen Matten und blühenden Bäume wichen Überbauungen. Und wo blieben die einst sechs Bäckereien, sieben Metzgereien, der Wollladen, die Papeterie, das Schuh- und das Modegeschäft, die Uhren- und Bijouterieläden, das Eisenwarengeschäft, die Post, die Bank, die Kolonialwarenläden, das Zigarrenlädeli und die Mosti? Das mit Heu beladene Pferdefuhrwerk wäre heute ein arges Verkehrshindernis. Auch die Kinder mit dem Leiterwägeli auf der ungeteerten Emmentalstrasse ohne Trottoir wäre heute undenkbar.

«Wer weiss: Wenn einmal die Umfahrungsstrasse kommt, kehrt vielleicht das Dorfleben zurück» meinte Ueli Müller und schmunzelte.


Ein bisschen nachgeholfen

«Die ersten Karten um 1870 waren noch auf Steinplatten gezeichnete und danach handkolorierte Lithografien», so Müller. Als Adresse genügten damals der Name und das Dorf. Es folgten Kombinationen von Fotos und Zeichnungen, und da die Fotos grau-weiss waren, hat man mit Farbe nachgeholfen. «Überhaupt wurden manchmal mit Tricks die Aufnahmen ein wenig geschönt», erklärte der Postkarten-Liebhaber. Die Aufnahme «Oberburg bei Nacht» etwa existierte als normale Fotografie, die man blau eingefärbt und mit einem Vollmond garniert hatte. Auch bei den hübschen Trachtenmädchen, den Bären und den Edelweisskränzen kommen Zweifel auf. Sogar die wenigen Oldtimer-Autos auf der Strasse scheinen nachträglich aufgeklebt – sie galten halt damals als chic. Nicht minder interessant scheinen die Blickwinkel, aus denen man die Fotos schoss. Hier habe man wohl manchmal mit dem gerade erfundenen Teleobjektiv gezaubert, meinte Ueli Müller.

Wie auch immer. Ein «Gruss aus Oberburg» hat in vielen Besucherinnen und Besuchern Erinnerungen geweckt und zu Gesprächen angeregt.

28.10.2021 :: Gertrud Lehmann (glh)