«Das Spiel mit dem Wind und den Wellen fasziniert mich»

«Das Spiel mit dem Wind und  den Wellen fasziniert mich»
Volle Fahrt voraus: Claude Mermod, der Steuerman hinten, und Ruedi Moser, der Vorschoter, sind ein eingespieltes Team. / Bild: zvg
Segeln: Seit mehr als 50 Jahren segelt Claude Mermod aus Grosshöchstetten. Mit dem Boot der Kategorie Fireball hat er schon etliche Erfolge gefeiert. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht.

«Ich denke in Windstärken», sagt der 63-jährige Claude Mermod, entspannt an seinem Esstisch sitzend. Mit einem Schmunzeln fügt er hinzu: «Wenn ich aus dem Fenster schaue und die Blätter sich bewegen, überlege ich – mit einem Blick auf die Wetterapp – wo es heute genügend Wind hätte fürs Segeln.» Er liebe das Spiel mit den Wellen und die Geschwindigkeit auf dem Wasser. 


Es braucht einen Siegeswillen

«Sobald ich auf einem Segelboot sitze oder auf einem Windsurfbrett stehe, erwacht mein Kämpferinstinkt und ich nehme jegliche Herausforderung eines Geschwindigkeitsduells an», sagt der vierfache Familienvater. Gewonnen hat der Grosshöchstetter schon viele nationale  und auch internationale Regatten. Mitte September kam eine Goldmedaille an den Europameisterschaften im italienischen
Piombiono zum Palmares hinzu (die «Wochen-Zeitung» berichtete). 

Um eine Regatte gewinnen zu können, brauche es verschiedene Eigenschaften, erzählt Claude Mermod. «Es ist ein wenig wie beim Schach: Wichtig ist eine gute Strategie. Man muss die Gegner einschätzen können, Wind und Wetter im Griff haben, dann natürlich bei viel Wind viel Kraft, und umgekehrt bei wenig Wind eine gewisse mentale Stärke haben.» Die wichtigste Eigenschaft nebst dem Siegeswillen sei aber die Erfahrung.


Aus Liebe zum Thunersee

Viel Erfahrung im Segeln hat Claude Mermod durchaus. «Als ich etwa zehn Jahre alt war, hat mir mein Vater ein Boot geschenkt – ohne Nummer. Mein Bruder und ich hatten also diverse Male mit der Polizei zu tun», erzählt Mermod und lacht. Aber das hat ihn nicht eingeschüchtert. Die ersten Steuerübungen habe er auf dem Greifensee gemacht, später auf dem Zürichsee. Irgendwann sei er ins Bernbiet gezogen, um nahe am Thunersee sein zu können. Grosshöchstetten bezeichnet er als idealen Ausgangspunkt zu vielen Gewässern. Gerade bei der Segeljolle Fireball spiele es keine Rolle, ob man direkt an einem Gewässer wohne oder nicht. «Die Jolle lässt man nicht im Wasser stehen», erklärt der Segler. So sei man immer flexibel, dorthin zu reisen, wo der Wind für grosse Wellen sorge. Und wer jetzt meint, die Binnenkapitäne hätten gegenüber den Meeresanstössern einen Nachteil, der wird eines Besseren belehrt: «Auf dem Neuenburgersee kann man schon mal kurze, steile Wellen von 1,5 bis 2 Metern Höhe erleben.» Deshalb sage er immer: «Wenn man Schweizer Wellen segeln kann, dann kann man das auch auf dem Meer.»  


Partnerschaft muss stimmen

Nach der Geburt der Kinder war Claude Mermod 17 Jahre Hausmann.  «Das passte nicht überein mit meiner Segelpassion auf diesem Niveau, weshalb ich vorübergehend aufhörte», erzählt er. Doch das fühlte sich an wie ein Entzug. Es dauerte nicht lange, bis er sich ein Surfbrett kaufte, um wenigstens so die Geschwindigkeit auf dem Wasser geniessen zu können. «2008, als meine Kinder grösser waren, habe ich Kontakt zu Ruedi Moser aus Winterthur aufgenommen. Ruedi segelte bis anhin mit seinem Bruder, der sich aber gerade vom Segelsport zurückgezogen hatte.» Was für Mermod ein Glücksfall war. Nur ein eingespieltes Team mit Erfahrung habe Chancen auf Siege. «Ruedi und ich sind beide Perfektionisten und überlassen nichts dem Zufall. Jeder Handgriff sitzt», sagt der mittlerweile frühpensionierte Messtechniker.

Mit Schwimmweste unterwegs

Während eines Laufs ist die Aufgabenteilung klar geregelt. «Auf dem Boot wird so wenig wie möglich und so viel wie nötig gesprochen. Als Steuermann gebe ich Ruedi die Informationen weiter, was ich auf dem Ruder spüre, und er macht die Ausgleichsarbeit im Trapez», erklärt Mermod. Auch wenn der ehemalige Geräteturner gerne Vorschoter – also der Mann im Trapez – wäre, so mache es wegen seiner Statur wenig Sinn. «Gerade in der Kategorie der Fireball-Jollen sind die Steuerleute klein und leicht und die Vorschoter eher kräftig und gross, denn es geht darum, das Boot so aufrecht wie möglich zu segeln.»

Wasserscheu dürfe man nicht sein, betont der Grosshöchstetter. Bei guter Geschwindigkeit ist das Team stark dem Spritzwasser der Wellen ausgesetzt. Und im Falle einer Kenterung – was idealerweise nicht geschieht – könne die Sache in einer Baderei enden, bis das Boot wieder aufgestellt sei. Auf Jollen wird an Regatten ausschliesslich mit Schwimmweste gesegelt. Zudem stehen unzählige Funktionärs- und Juryschiffe um das Rennrevier, die auch mit einem Rettungsauftrag betraut sind.


Die Segel sind die Garderobe

Das Fireball-Segeln sei bei weitem nicht so kostspielig, wie man sich das allgemein wohl vorstelle, erklärt Claude Mermod. «Unser Boot stammt aus dem Jahr 2002. Da wir es gut unterhalten und technisch in einwandfreiem Zustand halten, sind wir damit immer noch konkurrenzfähig.» Solange alles den Normen entspreche, gebe es keinen Grund, das Schiff zu wechseln, so Mermod. Verbrauchsmaterial wie Schoten und Segel werden öfter ausgewechselt. «Alle zwei bis drei Jahre investieren wir in einen neuen Satz Segel, das kostet zwischen 2500 und 3500 Franken.»

Und zu den Reisekosten zu den jeweiligen Regatten sagt Claude Mermod: «Es ist, wie andere Familien in die Ferien gehen.» Bei Regatten in Übersee organisierten die Europäer einen Frachtcontainer für die Jollen. Die geteilten Kosten fielen nicht höher aus als jene für ein Flugticket.


Nächstes Ziel WM in Irland?

Zum Abschluss der Saison streben Mermod/Moser noch den Eisbärencup in Thalwil an. «Und dann besprechen wir, was wir nächste Saison anpacken wollen. Der Höhepunkt wäre sicherlich die Weltmeisterschaft in Irland», so Claude Mermod. «Im Gegensatz zu den nationalen Regatten, wo etwa 12 bis 15 Boote teilnehmen und der Nachwuchs nur sehr schwer zu rekrutieren ist, sind internationale Wettkämpfe einfach toll, weil dort die Konkurrenz grösser ist.» Es gebe nichts Schöneres, «als wenn man nach gelungenem Start auf fast 100 Segelboote hinter sich zurückschauen kann».

14.10.2021 :: Olivia Portmann (opk)