Aktuell, bissig, «Nici»

Aktuell, bissig, «Nici»
Gut und Böse im Himmel. Was denen alles einfällt! / Bild: zvg
Langnau: Bei der 10. Ausgabe des Cartoon-Weges kommt endlich eine Frau zum Handkuss: Nicole Käser. Ihre Cartoons überzeugen durch die Reduktion auf das Wesentliche. Überzeugen Sie sich selbst!

Wer hie und da seinen Benzingaul im Stall lässt und sich auf Schusters Rappen auf den Weg macht, dem winken entlang der Ilfis interessante Begegnungen. Er oder sie trifft nicht nur entgegenkommende, stramm-schlanke, von ihrer Lieblingsmusik umsäuselte oder befeuerte Joggerinnen, nicht nur Robidogsäcklein-schwenkende Hundehalterinnen oder, je nach Jahreszeit, verschämt ihre Körbchen versteckende Morchelsammler, nein, er oder sie stösst zwischen alter Moosbrücke (bei der Langnauer Badi) und Flühacherbrücke in Bärau beidseits des Flusses in regelmässigen Abständen auf die Tafeln des Langnauer Cartoon-Weges – und das seit zehn Jahren.


Eine einigermassen junge Frau musste her

Dieses Jubiläum war für Hanspeter Buholzer, den Initiator des Weges, der Anlass, alle bisher berücksichtigten Künstler in einer Ausstellung im Alten Bärensaal zu vereinigen und gleichzeitig Vernissage zu feiern für die neuen Tafeln, die ab dieser Woche mindestens ein Jahr lang den humorbereiten Wanderer unterhalten oder nachdenklich stimmen werden. «Für die 10. Ausgabe wollte ich etwas Neues, etwas Gegensätzliches zum bisher Gesehenen bringen. Gewöhnlich ist ein Cartoonist ja männlich, eher vorgerückt im Alter und bereits ein arrivierter Künstler. Also musste eine Frau her, eine einigermassen junge, und eine, die diese Art Kunst eben erst für sich entdeckt hat. Das alles ist Nicole Käser.»

«Der Cartoon-Weg ist das Überbleibsel des Langnauer Cartoon-Festivals. Er erinnert an die Zeit, als Langnau eine Art Mekka der Cartoon-Künstler und -liebhaberinnen aus halb Europa war,» erklärt Hanspeter Buholzer. Man war vor zehn Jahren – in euphorischer Stimmung – zur Überzeugung gelangt, es müsse doch auch in den Jahren zwischen den Festivals etwas an diese Kunstsparte erinnern. Das war die Geburtsstunde des Cartoon-Weges.


Er trägt die Messlatte in seinem Innern

Wie wählt Buholzer Jahr für Jahr die Künstler aus? «Das ist reine Willkür,» schmunzelt er. Er will die Messlatte nicht preisgeben, die er in seinem Innern trägt. Es ist ihm gelungen, für den Jubiläumsanlass fast alle bisher ausgestellten Cartoonisten an die Vernissage «aufzubieten», und sie sind zum Teil von weit her angereist.

Der erste Cartoon-Weg wurde von Carlo Schneider gestaltet, ursprünglich ein Luxemburger, aber der Liebe wegen in Langnau hängengeblieben. Seine Werke sind ein liebevolles Schmunzeln über Emmentaler Eigenheiten und orientierten sich damals stark an den landschaftlichen Gegebenheiten des Weges. Tom Körner aus Berlin zeichnet den Leserinnen und Lesern der «taz», der Berliner Tageszeitung, seit 30 Jahren jeden Tag einen aktuellen dreiteiligen Cartoon. Kaum weniger Durchstehvermögen beweist Jürg Kühni, der seit ähnlich langer Zeit auf der hintersten Seite der «Wochen-Zeitung» die «Brissago»-Cartoons gestaltet. Natürlich darf an dieser Ausstellung die «graue Eminenz» der Berner Cartoonisten, Heinz Pfister alias «Pfuschi», nicht fehlen oder Ernst Mattiello, der Gewinner der «Goldenen Kuh» des Langnauer Festivals 2010. 

Auch die übrigen Künstler verdienen es, erwähnt zu werden: Peter Thulke, Tom Künzli, Caspar Frei, Peter Butschkow.

Jeder der Ausgestellten pflegt seinen persönlichen, unverwechselbaren Stil: manchmal mit Anklängen an die Comics-Kunst, mehr linear oder flächig, naturalistisch oder aber auf knappe Formen reduziert, von viel oder wenig Text begleitet.


«Reduzieren ist das Anspruchsvollste»

Nicole Käser betätigt sich künstlerisch in einem breiten Feld. Die gebürtige Burgdorferin ist ausgebildete Grafikerin und machte sich vor allem einen Namen als Illustratorin von Kochbüchern. Sie unterrichtet an einer Kunsthochschule in Österreich. Daneben ist sie seit Jahren als gefeierte Schauspielerin und Kabarettistin unterwegs. Zur Cartoon-Kunst fand sie erst in den letzten Jahren. Ihre Werke fallen auf, durch bis aufs Letzte reduzierte Formen. Auf die Frage, wieviel Zeit sie für die Gestaltung eines Cartoons verwende, sagt sie: «Die Ideenfindung braucht viel Zeit, sie dann auf Papier und Bildschirm zu bringen, ist eine Sache von Stunden. Aber gerade das Reduzieren gehört dabei zum Anspruchsvollsten. Was darf ich weglassen, dass die Idee doch noch erkennbar bleibt?» Simone Thalmann charakterisierte die Künstlerin in einer prägnanten, witzigen Laudatio und sagte zum Schluss: «Cartoons soll man nicht erklären, sie sind selbstredend.»

Die einzelnen Wegtafeln werden von Sponsoren finanziert. Das ist für den Geldgeber mit gewissen Risiken verbunden. Die künstlerische Freiheit des Cartoonisten wird nämlich nicht angetastet, so weiss der Sponsor im Voraus nie, ob er auf der Tafel nicht in sanfter Weise auf die Schippe genommen wird.

Auch Reto Mettler, der einstige künstlerische Leiter des Cartoon-Festivals, ist an der Vernissage anwesend. Wächst gar die Lust, wieder ein Festival in Stil aufleben zu lassen? Reto Mettler winkt ab: «Der Verein ist zwar nie aufgelöst worden. Aber es fehlt hier in Langnau an Ressourcen, finanziellen und personellen, für einen solchen Grossanlass.» So geniessen wir die Cartoon-Kunst weiterhin in kleinen Dosen: wöchentlich in der «Wochen-Zeitung» oder am Ilfisweg spazierenderweise. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht, denn Humor muss immer auch verdaut werden, Satire erst recht.

23.09.2021 :: t tr