«Hej hej, Corona da, chasch üs itz wieder singe lah»

«Hej hej, Corona da, chasch üs  itz wieder singe lah»
Ein Bild aus der Zeit vor der Pandemie: Jodlerinnen und Jodler am Unspunnenfest 2017. / Swiss-image.ch / Andy Mettler / Bild: zvg
Emmental und Entlebuch: Chöre und Jodlerklubs dürfen wieder praktisch ohne Einschränkungen proben. Viele haben die pandemiebedingte Zwangspause gut überstanden. Aber nicht alle.

Ein Video kann viel auslösen, sehr viel sogar. Das hat das Jodlerchörli Lehn bei Escholzmatt diesen Sommer erfahren. Zwei der Jodler, die Brüder Godi und Sämi Studer, hatten die Idee, zum 60-Jahr-Jubiläum des Chörlis einen Videoclip zu produzieren. Sie nahmen die Melodie des «Wellerman»-Songs, dieses Megahits, versahen ihn mit einem eigenen Text und drehten dazu ein Video.

«Jodler-Gen» heisst das Lied. Es verbreitete sich rasant: Medien aus der ganzen Deutschschweiz berichteten darüber, in den sozialen Medien wurde der Videoclip hundertfach geteilt, zehntausendfach angeschaut und auch von Radiostationen ins Programm aufgenommen. Die Resonanz sei erfreulich und ermutigend, sagt Ivan Portmann, der Präsident.


Mehr freie Abende

«Hej hej, Corona da, chasch üs itz wider singe lah», heisst es im Refrain des Liedes. Damit dürfte das Jodlerchörli Lehn vielen Menschen aus dem Herzen singen – insbesondere all den Sängerinnen und Sängern, die wegen der Pandemie monatelang nicht mehr gemeinsam proben durften. Seit diesem Frühling sind Proben für Laienchöre zwar wieder erlaubt. Anfänglich mussten aber grosse Abstände eingehalten werden – pro Sängerin oder Sänger waren 25 Quadratmeter nötig. Ende Juni hat der Bundesrat die meisten Einschränkungen aufgehoben. Proben in Innenräumen sind seither wieder ohne Abstand und ohne Maske möglich. Für das Contact Tracing muss einzig eine Präsenzliste geführt werden.

So gross die Freude über die wiedergewonnene Freiheit ist, so gross war und ist vielerorts auch die Sorge, dass Chöre oder Jodlerklubs wegen der Pandemie Mitglieder verlieren könnten. Tatsächlich habe es Rücktritte gegeben, erklärt Stephan Haldemann, Präsident des bernisch-kantonalen Jodlerverbandes. Besonders ältere oder gesundheitlich angeschlagene Sänger hätten die Zwangspause zum Teil zum Anlass genommen aufzuhören. Oder solche, die während der probefreien Zeit gemerkt hätten, wie schön es sei, jede Woche einen freien Abend mehr zu haben. «Diese Austritte wären aber auch ohne die Corona-Pause früher oder später gekommen», sagt Haldemann.


Soziale Kontakte weitergeführt

Austritte – ja, die gab es. Der hier und dort befürchtete Exodus ist allerdings im Bernbiet wie auch im Luzernerland ausgeblieben. «Viele Sängerinnen und Sänger haben sich enorm gefreut, endlich wieder proben zu dürfen», berichtet Fabian Niklaus, Präsident des Zentralschweizer Jodlerverbandes. Er ist beeindruckt vom Innovationsgeist der Klubs, die den Zusammenhalt auch während der Pandemie pflegten. Die sich zum Beispiel einmal pro Woche zu einem Spaziergang rund ums Dorf trafen. Die online probten. Die per Whatsapp Ton-Dokumente mit Liedern verschickten, damit sie die Mitglieder zu Hause üben konnten. Oder deren Vereinspräsident jedes Mitglied, das Geburtstag hatte, anrief und mit ihm eine Stunde lang über Gott und die Welt plauderte.

Und doch hat die Pandemie Spuren hinterlassen. Im Einzugsgebiet des Berner Kantonalgesangverbandes hätten während der Coronapause gleich mehrere Chöre aufgeben müssen, bilanziert Verbandspräsident Christof Ramseier. Vielleicht hätten diese in zwei, drei Jahren wegen Mitgliedermangels aber sowieso nicht mehr weitermachen können. «Die Pandemie hat diesen Vorgang halt einfach beschleunigt.»

Schön findet Ramseier, wie viele Chöre es trotz allem schafften, den Kontakt zu ihren Mitgliedern zu halten. Der Verband habe sich derweil bemüht, die Vereine stets über die gerade geltenden Vorschriften auf dem Laufenden zu halten.


Werbung auf allen Kanälen

Um zu neuen Mitgliedern zu kommen, greifen die Vereine zu unterschiedlichen Mitteln. Der Jodlerklub Hühnerbach zum Beispiel, der im Moment noch 14 aktive Sängerinnen und Sänger zählt, hat ein Zeitungsinserat mit der Überschrift «Mir tüe wieder singe» aufgegeben. Man würde sich freuen, «we du am Mittwuch-Abe am achti im Ilfis-Schueuhus chunsch cho ycheluege u grad cho mitüebe». Eine Frau habe sich auf das Inserat gemeldet, dann aber von einem Beitritt abgesehen, berichtet Präsident Andreas Aeschbacher. Den Mut geben er und seine Kameraden deswegen nicht auf. Sie singen weiter.

Einen Aufruf im Gemeindeblatt und in den sozialen Medien lancierten auch die Pigiluna Singers aus Biglen. «Ein Leben ohne Chorsingen ist möglich, aber sinnlos», schreiben sie. Darauf meldeten sich mehrere Leute, die letzte Woche zur ersten Probe nach der langen Pause eingeladen wurden. Der Chor stehe quasi vor einem Neubeginn, sagt Präsident Ueli Rothenbühler. Auch jene Mitglieder, die bereits vor Corona im Chor dabei waren, müssten ihre Stimmen erst wieder in Form bringen.

Und das eingangs erwähnte Jodlerchörli Lehn? Es zählt derzeit 19 aktive Sängerinnen und Sänger. In den letzten Wochen haben sich fünf Leute gemeldet, die neu mitsingen möchten. Warum? Weil sie den Videoclip so cool fanden. 

02.09.2021 :: Markus Zahno (maz)