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Im nächsten Leben Bäuerin

Dringende Leseempfehlung: «Mittagsstunde» von Dörte Hansen. Ihr zweiter Roman ist eine Wucht. Sie zeichnet ein eindringliches Bild davon, wie Menschen und Tiere von der nordfriesischen Natur geprägt, geschliffen und immer wieder begossen werden. Harter Wind, tiefe Wolken, viele Pfützen. Die Autorin beschreibt die Veränderung des bäuerlichen Lebens im Norden Deutschlands: Städter nehmen eine Flurbereinigung vor, Landmaschinen werden grösser und Einheimische fahren in den Supermarkt, weil das Sortiment im Dorfladen zu klein geworden ist. Hansen versteht es ausgezeichnet, die verschiedenen Dorfcharaktere mit ihren Eigenheiten zu schildern. Man sieht vor sich, wie Hanni Thomsen auf seinem Mofa angeknattert kommt für seinen Frühschoppen. Man kennt vielleicht eine Gönke Boysen, die als kleines Kind viel schreit, sich während ihrer Schulzeit in ihre Bücherwelt flüchtet und schlussendlich dem Dorf endgültig den Rücken kehrt. Man amüsiert sich über die Leinentänzer, die ein Stück wilden Westen in das ach so beschauliche Dorf bringen. Man erkennt die Aussteiger, die auf dem Land ursprünglich leben wollen. Gleichzeitig versteht man die Dorfbewohnerinnen, die sich die Moderne ins Haus holen, um Zeit und Kraft zu sparen. Schleichende Veränderungen über Jahre hinweg. Man leidet mit, wenn schliesslich immer mehr kleine Bauernhöfe aufgegeben werden müssen. Wohlwissend, dass zu diesen Zeiten auch viel Enge zu ertragen war, bedauert man den Verlust der naturnahen und langsamen Lebensweise. Passend dazu findet mich ein paar melancholische Tage später eine Frage der beiden Künstler Peter Fischli und David Weiss: «Schlummert in der Familie ein letzter Rest von Landwirtschaft?» Ich übe also jetzt, falls ich im nächsten Leben Bäuerin werden sollte. Ein Trost.

24.06.2021 :: Susanne Kühni