Soziales Angebot kombiniert mit solidarischem Gemüseanbau

Soziales Angebot kombiniert mit  solidarischem Gemüseanbau
Bevor das Heu die Zwiebeln abdeckt, wird gejätet: Melanie Schori, Andrea Berger und Andrea Bieri (von links). / Bild: Sandra Joder (sjw)
Linden: Menschen mit einer Beeinträchtigung finden bei Andrea Berger eine Tagesstruktur und helfen beim Anbau und der Pflege von Gemüse aus solidarischer Landwirtschaft.

Kefen, Erbsen, Zwiebeln und Salat wachsen Mitte Mai in den neuangelegten Beeten in der Steinmatt in Linden. Die weissen Vliese schützen das Gemüse vor der Kälte. Dazwischen leuchten schmale, mit Holzschnitzel bedeckte Wege. Im Keller und unter dem kleinen Folientunnel warten hunderte von Gemüsesetzlingen in grünen Kistchen und braunen Töpfen auf wärmeres Wetter. Wo im vergangenen Jahr Heugras stand, sind auf 1,3 Hektaren Gartenbeete angelegt. Gegen 200 verschiedene Gemüsesorten sollen in den nächsten Jahren hier gehegt und gepflegt werden.

Tagesgäste in den Alltag integrieren

Ob es am vergangenen 40. Geburtstag lag oder an den Buschbohnen, die abgelesen werden mussten? Sie wisse es nicht genau, erzählt Andrea Berger. Auf jeden Fall sei es im letzten August wie ein Blitz aus heiterem Himmel in sie gefahren: Eine berufliche Neuorientierung musste her; nicht irgendeine und schon gar nicht irgendwann. Ihre beiden Leidenschaften, die Arbeit im Garten und ihr erlernter Beruf als Fachfrau Betreuung, sollten im neuen Job dazu gehören. Als gelernte Agogin arbeitete Andrea Berger 20 Jahre im Behindertenbereich. Es sei der vielfältigste Beruf, den man sich vorstellen könne, sagt sie. Menschen mit einer Beeinträchtigung eine Tagesstruktur in der Steinmatt zu bieten, sei deshalb naheliegend gewesen. Tagesgäste werden ihren Möglichkeiten entsprechend in den Alltag in Haus und Feld integriert. Die Idee der Arbeitsgruppe Steinmatt war geboren, der Bauernhof mit einigen Kleintieren und einem Garten vorhanden. Der pädagogische Bereich lag auf der Hand – noch fehlte der naturnahe.

Ernte wird gleichmässig aufgeteilt

Nach diversen Recherchen sei sie auf die solidarische Landwirtschaft gestossen, sagt Andrea Berger. Die Idee dahinter habe sie überzeugt: «Hier kaufen die Konsumenten nicht einzelne Gemüse, sondern finanzieren direkt die Produktion», erzählt sie. Alles, was geerntet wird, wird gleichmässig unter den Mitgliedern aufgeteilt. Wenn Gemüse andernorts verkauft wird, fliesst der Gewinn zurück in die Gemeinschaft. Die Konsumentinnen und Konsumenten haben ein Mitbestimmungsrecht, was den Anbau angeht. Gleichzeitig tragen sie auch das Risiko von witterungsbedingten Ernteausfällen solidarisch mit. Diese Gedanken überzeugten Andrea Berger. Damit stand auch das zweite Standbein fest. Die aufwändige Handarbeit, die das Säen, Pikieren, Pflegen und Ernten des Gemüses mit sich bringt, lässt sich ideal mit betreuten Tagesstrukturen kombinieren. Ihre Schwägerin Andrea Bieri unterstützt Andrea Berger bei der Arbeit. Im Moment verlangt diese den beiden Frauen eine gehörige Portion Idealismus ab. Ob sich das erste Jahr finanziell rechnen werde, sei offen. Ziel sei denn auch kein Gewinn, aber ein angemessener Lohn für die ganze Arbeit. Damit das klappt, braucht es sowohl in der Arbeitsgruppe wie auch in der Landwirtschaft genügend Menschen, die das Angebot in Anspruch nehmen. 

Vertrauen, dass es gut kommt

Die rund zwei Fussballfelder grosse Anbaufläche reicht für 40 Mitglieder. Sie bezahlen pro Monat 105 Franken und holen dafür einmal wöchentlich saisonales Gemüse in saisonalen Mengen ab. Das heisst, im Sommer sind die Erträge reich, im Winter entsprechend klein. Damit die Erntezeit verlängert werden kann, will Andrea Berger einen Folientunnel aufstellen. Klar sei es ein Risiko, das sie eingegangen sei, sagt die dreifache Mutter. Ihre ganzen Pensionskassengelder steckten im Betrieb. «Aber ich habe das Vertrauen, dass es gut kommt.» Sie wolle sich drei bis fünf Jahre Zeit geben, um den ganzen Betrieb sorgfältig aufzubauen. 

Im Rahmen der betreuten Tagesstruktur arbeitet Melanie Schori (35) mit. An drei Tagen reist sie nach Linden, genau gleich wie Praktikantin Valentina Cook. Am Morgen übernimmt Melanie Schori den «Tierli»-Dienst und füttert Ziegen, Hunde, Katzen und Hühner. Dann warten die feinen Blumenkohlsetzlinge darauf, pikiert zu werden. Die Frauen freuen sich schon darauf, wenn die Setzlinge dann endlich in den warmen Boden gesetzt werden dürfen und die Feldarbeit so richtig losgeht.

27.05.2021 :: Sandra Joder (sjw)