Bei uns hagelt es oft und stark

Bei uns hagelt es oft und stark
Als kleinräumiges Wetterphänomen ist Hagel schwer systematisch zu erfassen. Um die Hagelkarte zu erstellen, wurden neuartige statistische Methoden angewendet. / Bild: Shutterstock
Emmental/Entlebuch: Die erste national einheitliche Hagelkarte zeigt auf, wo es wie oft hagelt und wie gross die Hagelkörner werden können. Besonders gefährdet ist unsere Region.

Hagelstürme verursachen in der Schweiz jedes Jahr Schäden von mehreren Millionen Franken und stellen somit eines der grössten Naturrisiken dar. «Für Betroffene aus der Landwirtschaft, dem Versicherungs- und Bauwesen sowie den Einsatzorganen der Feuerwehr und des Zivilschutzes besteht das Bedürfnis nach einer einheitlichen, landesweiten Grundlage zur Beurteilung der Hagelgefährdung», informiert Meteo Schweiz. Im Projekt «Hagelklima Schweiz» haben sich verschiedene Akteure aus dem privaten und öffentlichen Sektor unter Leitung des Bundesamtes für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz) zusammengeschlossen und die neue Hagelkarte erarbeitet. Sie gibt Auskunft zur Häufigkeit, zur Grösse der Körner sowie zur Hagelgefährdung beziehungsweise zu den Wiederkehrperioden. Dazu wurden die Messungen von 40´000 Hagelereignissen in den Jahren 2002 bis 2020 aus dem Radarmessnetz ausgewertet. Zudem wurden die Hagelmeldungen aus der App von Meteo Schweiz und einem Messnetz von 80 Hagelsensoren herangezogen. Die Karten werden regelmässig mit den neuesten Daten aktualisiert. 


Hagelwetter brauchen drei Zutaten

Die unten abgebildete Karte zeigt, dass es im Emmental, Entlebuch und im Napfgebiet besonders häufig hagelt, nämlich im Schnitt an zwei bis drei Tagen pro Sommerhalbjahr. Auch punkto Hagelkorngrösse sind diese Regionen stärker gefährdet als andere. Im Emmental wird beispielsweise im Durchschnitt an bis zu zwei Tagen pro Jahr eine Korngrösse eines Einfränklers erreicht oder überschritten. «Wir haben im Napfgebiet 10´000 Gewitter analysiert; jedes zwanzigste führte zu Hagelschlag. Das ist viel», erklärt Katharina Schröer, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Meteo Schweiz. Weshalb ist diese Region so stark hagelgefährdet? «Es braucht drei Zutaten: viel Feuchtigkeit, eine instabile Atmosphäre sowie die richtigen Windverhältnisse.» Treffe all dies zusammen, entstünden häufig langlebige Gewitter mit dem Potenzial zu Hagelschlag. Der Napf sei ein Inselberg, das Terrain rundherum tiefer gelegen und entsprechend feuchter, führt Katharina Schröer aus. Wegen der vielen Hügel könne diese Feuchtigkeit leichter aufsteigen. Aus der aufsteigenden feuchtwarmen Luft bilde sich eine Gewitterwolke. «Damit Hagel zu grossen Körnern heranwachsen kann, sind die starken Auf- und Abwinde der Gewitterwolke idealerweise gut voneinander getrennt. Hierfür bietet die Topographie rund um die Napfregion gute Voraussetzungen.» 


Sich besser schützen und vorbereiten

Welchen Nutzen hat nun das neue Kartenmaterial für die Bewohnerinnen und Bewohner eines Hagel-Hotspots? «Landwirtinnen und Landwirte können anhand der Monats- oder Saisonkarten abschätzen, wie gross das Risiko für ihre Kulturen ist», nennt Katharina Schröer ein Beispiel. Das helfe etwa beim Entscheid, ob Hagelnetze Sinn machen würden. Oder es könne dazu führen, eine robustere Sorte anzubauen. Die Grösse der Hagelkörner sei besonders im Gebäudeschutz von Relevanz, erläutert die Wissenschaftlerin. Der Hagelwiderstand von Baumaterialien werde getestet. «Wird ein Haus neu gebaut oder saniert, können entsprechend hagelresistente Materialien beispielsweise für Dächer und Dämmungen gewählt werden.» Auch für Garagiers und Autobesitzerinnen sieht sie einen Nutzen. «Würde ich in diesem Gebiet wohnen, hätte ich wohl einen Unterstand für das Auto.» Nicht zuletzt könnten Einsatzkräfte der Feuerwehr die Hagelkarten konsultieren, um sich besser auf zu erwartende Ereignisse vorzubereiten, ergänzt Katharina Schröer. «Hagel in Verbindung mit Starkregen kann zum Beispiel zu verstopften Abflüssen und damit zu Überschwemmungen führen.» 

Die neue Hagelkarte sei ein Meilenstein, dennoch werde auch weiterhin intensiv am Hagel in der Schweiz geforscht und Produkte entwickelt, stellt Schröer in Aussicht. Beispielsweise eine Karte, welche aufzeigt, wo es besonders lange hagelt. «Für Schäden insbesondere an Kulturen macht es einen Unterschied, ob ein Hagelwetter fünf oder 30 Minuten dauert.»

Die Hagelkarte ist zu finden unter www.nccs.admin.ch

Einfränkler und Golfbälle

Zwei der flächenmässig grössten Hagelereignisse zwischen 2002 und 2020 ereigneten sich am 23. Juli 2009 und 1. Juli

2019. Betroffenen waren 10´000 respektive 8000 Quadratkilometer.

  • In der Schweiz treten pro Jahr 32-mal Hagelkörner ab einer Grösse von zwei Zentimetern (Einfränkler) auf. Ereignisse mit maximalen Körnern in der Grösse eines Golfballes (vier Zentimeter) sind etwa 29-mal pro Jahr zu erwarten.
  • Im Kanton Bern werden pro Jahr durchschnittlich 16-mal Hagelkörner ab vier Zentimeter gemessen, im Kanton Graubünden nur fünfmal.
  • Im Kanton Luzern fallen durchschnittlich alle 50 Jahre Hagelkörner von fünf bis sechs Zentimetern zu Boden.
  • Das Minimum an Hageltagen ist in den inneralpinen Regionen zu finden, wo vereinzelt seit 2002 teilweise noch gar kein Hageltag registriert wurde.
  • Das grösste jemals gefundene Hagelkorn fiel am 2. August 1927 vom Schweizer Himmel – mit einem Durchmesser von 13 Zentimetern.

20.05.2021 :: Silvia Wullschläger (sws)