«Nachher fühle ich mich lebendig wie sonst nie»

«Nachher fühle ich mich lebendig wie sonst nie»
Andreas Gmünder bei seinem täglichen Eisbad in der Emme. / Bild: Gertrud Lehmann (glh)
Oberburg: Andreas Gmünder wohnt am Ufer der Emme – das nutzt er nicht nur zum Baden im Sommer, sondern den ganzen Winter durch für seine eisige Wassertherapie.

«Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp, 

zu tauchen in diesen Schlund?

Einen goldenen Becher werf ich hinab, 

verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund…»


Diese Zeilen aus der Schiller-Ballade «Der Taucher» kommen mir in den Sinn, als ich den Mann in die hochgehenden Wasser der Emme hinausklettern sehe. Eisiggrün schiessen die Wellen an ihm vorbei, mich würde nicht einmal gelüsten, die grosse Zehe hineinzutauchen. Hoffentlich macht er keine Dummheiten, ich könnte ihm nicht zu Hilfe eilen.

«Das tut gut»

Andreas Gmünder wagt einen weiteren Schritt und ist jetzt schon bis zur Taille umspült. Er bewegt sich ruhig und bestimmt, den Blick nach innen gerichtet. Wie in Trance. Nun breitet er die muskulösen Arme aus, hebt den Kopf und atmet tief ein und aus. Dann versinkt er in den Fluten.


«Und es wallet und siedet und brauset und zischt,

wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,

bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,

und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt…»

Nein, ganz so schlimm wie die Charybde ist unsere Emme nicht, aber tückisch genug. Und sie hat auch schon manches Opfer auf dem Gewis-sen. Zum Glück taucht jetzt der Kopf des Athleten wieder auf, übers ganze Gesicht lachend. Als ob das Ganze ein Spass wäre! Und es pressiert ihm überhaupt nicht, wieder herauszukommen. Gut fünf Minuten «geniesst» er die eiskalte Umarmung der Emme. Dann zieht er sich an einem Steinbrocken heraus und greift zum Frottee-Umhang. Seine Haut verfärbt sich sofort krebsrot. Er aber lacht und sagt: «Das tut gut.»

Gmünder ist ein Wassermann, wenn auch sein Sternzeichen Skorpion sei. Aufgewachsen am jenseitigen Ufer des Bodensees, liebte er alle Wassersportarten von Kindsbeinen an. Besonders Windsurfen, Kitsurfen und Wakeboarden faszinierten ihn. Sein Studium zum Rechtsanwalt absolvierte er teils in Deutschland, teils in der Schweiz. Hier fand er nach seinem Examen einen Job in einer Anwaltskanzlei. Dazu hat er Familie, ist Vater zweier Kleinkinder und ambitionierter Sportler und Personal-Trainer. Das alles setzte ihn oft unter Stress, der sich in diffusen Schmerzen Unruhe und Unwohlsein äusserte. Der Arzt fand keine Ursache, und die Tabletten mochte Andreas Gmünder nicht immer nehmen. Also beschloss er, nachdem er etwas über Kältetherapie gelesen hatte, es selbst auszuprobieren. 

Seit letztem Sommer taucht er jeden Tag für einige Minuten in die Emme, die damals naürlich noch einige Grad wärmer war. In diesem Winter war sie laut Meteo Schweiz schon mal 0,9 Grad, heute sei sie etwa drei bis vier Grad «wärmer», sagt Gmünder. Das regelmässige Bad diene ihm zur Selbstoptimierung, stärke Herz, Kreislauf und Immunsystem. Alle Schmerzen seien verschwunden. Obgleich es ihn immer noch Selbstüberwindung koste – der Kälteschock sei nicht angenehm – wolle er die Therapie fortsetzen. Danach, unter der warmen Dusche, durchströmten ihn Glückshormone und er fühle sich lebendig wie sonst nie. 

Das Publikum staunt 

Das seltsame Tun des Herrn Gmünder blieb in Oberburg nicht unbemerkt. Auf der Lochbachbrücke bleiben Pas-santen oft stehen, zücken das Handy und filmen den «Spinner». Wenn sich sein Bad zeitlich in die dunklen Abendstunden verschiebe, kämen manchmal Leute, die ihn retten wollten, weil sie meinten, er wolle sich umbringen! Das hat Gmünder nun auf die Idee gebracht, sich in der Presse zu «outen». Und wenn jemand ihm im Wasser gerne Gesellschaft leisten wolle, habe er nichts dagegen. Nach wie vor ist er von der Heilkraft der Emme begeistert.

11.02.2021 :: Gertrud Lehmann (glh)