Seit 2008 ist die Biosphäre Entlebuch zusätzlich ein Naturpark von nationaler Bedeutung. / Bild: zvg
Entlebuch: Seit 20 Jahren besteht die Unesco Biosphäre Entlebuch (UBE). Die damals als Armenhaus bezeichnete Region erhielt damit eine Perspektive für die Zukunft.
Die Idee, im Raum Entlebuch eine Unesco Biosphäre zu errichten, ist eigentlich aus der Not geboren. 1987 wurde die Rothenturminitiative vom Schweizer Stimmvolk angenommen. Seitdem sind Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und von nationaler Bedeutung geschützt. Das Entlebuch mit seinen über 100 Mooren war stark betroffen. Wie sollte eine wirtschaftliche und touristische Entwicklung möglich sein in diesem Raum? In einem Unesco Biosphärenreservat (siehe Kasten) sah man eine Chance. Theo Schnider war von Beginn an involviert in den Prozess. Seit deren Gründung ist er Direktor der Unesco Biosphäre Entlebuch (UBE).
Herr Schnider, hatten Sie jemals daran
gezweifelt, dass die UBE zustande kommt?
Nein, nie. Ich war von Anfang an von der Idee überzeugt und glaubte auch an die Umsetzung. Das Ziel war, aus dem vermeintlichen Nachteil – dem Moorschutz – eine Chance zu kreieren und damit den Menschen im Entlebuch eine Perspektive zu bieten. Ein solches Projekt kann und soll man nicht mit angezogener Handbremse fahren.
Tatsächlich bestand in der Bevölkerung auch ein gewisser Leidensdruck.
Ja, und der war nötig, um überhaupt eine so grosse Veränderung in Gang zu setzen. Da war der Moorschutz, welcher drohte, die Entwicklung zu bremsen. Weiter wurde das Versandhaus Ackermann in Entlebuch geschlossen und das Militär zog sich aus dem Raum Entlebuch zurück. Davon waren viele Arbeitsplätze betroffen. Das Entlebuch galt als Armenhaus der Schweiz. An diesem Tiefpunkt angelangt, waren viele Menschen offen, um etwas Neuem eine Chance zu geben.
Bis es soweit war und das Zertifikat der Unesco vorlag, dauerte es dann aber doch rund zehn Jahre.
Es war ein langer Prozess. Am Anfang stand die Idee eines Kompetenzzentrums für Moorlandschaften. Diese Idee wurde dann erweitert, die ganze Bevölkerung und auch die Wirtschaft sollten miteinbezogen werden. Das Gebiet musste gemäss Vorgaben der Unesco in eine Kern-, eine Pflege- und eine Entwicklungszone eingeteilt werden. Vor allem aber brauchte es unzählige Gespräche. Wir wollten unbedingt die Bewohnerinnen und Bewohner mit ins Boot holen. Es ging nie darum, von oben herab etwas zu verordnen. Das hätte nicht funktioniert.
Im September 2000 genehmigten die Stimmberechtigten einen Pro-Kopf-Beitrag von vier Franken für die nächsten zehn Jahre und sagten damit Ja zur UBE.
Genau, und das mit einem Ja-Stimmenanteil von 94 Prozent. Das war ein starker Vertrauensbeweis.
Der Pro-Kopf-Beitrag ist auf heute
20 Franken gestiegen. Weiter entrichten auch Bund und Kanton Beiträge. Insgesamt bringt die öffentliche Hand jährlich
1,5 Millionen Franken ein. Viel Geld.
Sicher, aber auf der anderen Seite erwirtschaften wir auch selber eine Million Franken jährlich. Es sind nicht nur Projektgelder, sondern viele Kosten würden für die wirtschaftliche Entwicklung des Entlebuchs ohnehin anfallen. Es darf davon ausgegangen werden, dass die öffentliche Hand mit der heutigen Finanzierungsform wesentlich besser wegkommt, auch in Anbetracht des UBE-Leistungsausweises.
An was für Leistungen denken Sie?
Wir haben die Marke «Echt Entlebuch» aufgebaut, unter der schweizweit 540 lokale Produkte verkauft werden. Sie generieren eine Wertschöpfung für die Region von sechs Millionen Franken. Wir bieten Schulprogramme und Exkursionen zum Thema Nachhaltigkeit an und initiieren und leiten Vernetzungs- und Forschungsprojekte. Weiter bündeln wir im Marketingpool die touristischen Angebote der ganzen Region.
Was für Spuren hat die UBE in den
20 Jahren in der Region hinterlassen?
Die Bevölkerung ist stolz auf ihre Region und fühlt sich mit ihr verbunden. Wir haben das Image «Armenhaus der Schweiz» abgestreift. Ich finde, die Menschen haben auch die Freude an der Veränderung entdeckt, sie sind Neuem gegenüber offener geworden.
Wo sehen Sie das grösste Potenzial für die UBE in den nächsten 20 Jahren?
Die UBE konnte sich jetzt etablieren, nun wünsche ich mir noch mehr Strahlkraft nach aussen, etwa indem wir Impulse geben für andere Regionen. Dann geht es weiterhin darum, auf unsere Stärken zu setzen, da haben wir gute Aussichten für die Zukunft. Gerade die Corona-Krise hat die Sehnsucht nach Ruhe und Achtsamkeit, nach Natur und Nähe geweckt. Die UBE entspricht diesem Bedürfnis. Auch sehe ich im
Agrotourismus ein grosses Potenzial.
Wird es die UBE auch in 20 Jahren noch geben?
Daran zweifle ich keine Sekunde. Die Biosphäre hat die Lebensqualität der Bevölkerung klar verbessert.
20 Jahre Unesco Biosphäre Entlebuch (UBE): Zum Jubiläum beleuchten wir in einer Serie verschiedene Aspekte der UBE. Das Spannungsfeld Tourismus–Naturschutz steht im nächsten Beitrag im Zentrum.