Eine bescheidene Welt, geprägt von Arbeit, Glauben und Aberglauben

Eine bescheidene Welt, geprägt von Arbeit, Glauben und Aberglauben
Christian Schmid zog mit seiner Lesung das Publikum in seinen Bann. / Bild: Gertrud Lehmann (glh)
Walkringen: Wenn Christian Schmid vorliest, werden Geschichten lebendig – so auch die Erzählungen der Truberin Elisabeth Baumgartner, einer ­interessanten Persönlichkeit.

Der wunderschöne Theatersaal im Rüttihubelbad bot einen würdigen Rahmen und genügend Platz, um Abstand zu halten. Christian Schmid, bekannt als Mundartspezialist aus DRS 1 beziehungsweise SRF 1, lud am Sonntagnachmittag zum Vorlesen ein. Seine Mundartlesungen hat er den zahlreichen Autoren aus dem Emmental gewidmet, diesmal der Truberin Elisabeth Baumgartner (1889 bis 1957). Zu Beginn stellte er den Zuhörenden diese Persönlichkeit vor.

Was «d Wääg-Lise» schrieb

Geboren als Bauernmädchen, entwickelte Elisabeth Baumgartner schon früh eine Leidenschaft für das Schreiben. Das waren zuerst schöne Aufsätze, wobei der Lehrer kritisierte, sie habe viel zu viel Fantasie! Sie liess sich nicht entmutigen und veröffentlichte nach Beendigung der Schulzeit unter dem Pseudonym «Änneli aus dem Ämmital» Texte in der Zeitung und im Alpenhornkalender. Ihre Begabung trug ihr im Umkreis eher Kritik ein – ob sie nichts Gescheiteres zu tun habe – auch von ihrem Mann, den sie mit 20 Jahren heiratete. Auf dem Hof Voorder Wääg lebte sie als «Wääg-Lise», war vielbeschäftigte Bäuerin und Mutter von sechs Kindern. Dennoch nahm sie sich die Zeit, ab und zu die Tür hinter sich abzuschliessen und zu schreiben. Neben Theaterstücken, meist nach Stoffen von Gotthelf, schrieb sie berndeutsche Erzählungen und auch Volkskundliches. Die Anerkennung gab ihr recht. Mit «D Lindouere», einem heute noch beliebten Theaterstück, gewann sie 1936 den Gfeller-Rindlisbacher-Wettbewerb und wurde bekannt. 

Vor dem grossen Umbruch

Elisabeth Baumgartner erzähle von einer Welt vor dem grossen Umbruch, den Elektrizität, Mobilität und landwirtschaftliche Maschinen nebst Telefon, Radio und Fernsehen mit sich brachten, sagte Christian Schmid. Eine bescheidene Welt, geprägt von Arbeit und Gewohnheit, aber eben auch von Glauben und Aberglauben – und da-
rum von volkskundlichem Interesse.

Krieg und Frieden im Emmental

«Mehl am Ärmel» hätten die zwei Tauner-Buben, sagten die Leute, sie seien also nicht die Schlausten. Aber sie lebten zufrieden, hauptsächlich von «Härdöpfu», die Gödu kochte, während Chrigu sich bei Bauern als Knecht verdingte. Nur etwas erhellte ihren Alltag: Wenn es «Chnöpfli» gab. Die machte Gödu nämlich genau wie von «Müeti» gelernt und ebenso lecker. Bis Chrigu in die Welt hinaus zog, zum «Höiet» in den Thurgau. Er kam mit liebeskrankem Herzen zurück und wollte statt «Chnöpfli» jetzt nur noch Spätzli. Das konnte nicht gut gehen – aber die Geschichte endet mit einem Waffenstillstand, denn der Thurgau ist ja weit, weit weg!

Österreicher bodigen

Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Schweiz kriegsgeschädigte Kinder auf, um sie recht aufzupäppeln. So auch in Trub. Fünf kleine «Wienerlein» kamen zu Bauernfamilien und lernten eine andere Welt kennen. Trotz «Hung-Ankebock» und Rösti plagte sie das Heimweh. Und als Chrigu plagierte, vom «Hoger» aus habe man Aussicht bis nach Wien, folgten sie ihm und den Dorfkindern am Sonntag zur Wanderung. Doch welche Enttäuschung: kein Dom, keine Fiaker, keine Schlösser, keine Donau weit und breit. Als die Einheimischen noch zu schnöden anfingen, sie hätten ja, wie einst bei Sempach, schon wieder den Krieg verloren und hier sei es sowieso viel schöner, begann eine wüste Schlägerei. Wahrscheinlich hätte man Österreich schon wieder gebodiget, aber plötzlich läutete das schlechte Gewissen und man schlich mit kaputten Kleidern heimzu. Da setzte es eine Extra-Lektion Heimatkunde von den Alten.

Bräuche und Zaubermitteli

Allerlei «Mitteli», die damals jedermann kannte, zählt die Autorin zwischendurch auf. Wie ein zerpflücktes Margritli, ein Schwarm Krähen oder eine schwarze Katze Hinweise auf den Zukünftigen geben können etwa. Oder warum man immer Geld in der Tasche haben soll. Dass drei Schluck Wasser im Namen der Dreieinigkeit Kummer stillen und Körner im Hosensack eine reiche Ernte sichern. Und ganz wichtig: Nach dem Heiraten hat, wer beim Verlassen der Kirche zuerst spricht, sein Leben lang das Sagen!

Weitere Lesungen mit Christian Schmid im Rüttihubelbad, Walkringen: «D Egge-Marei» von Julia Balzli,
25. Oktober, 15.30 Uhr; «Chüehbode-Hämel» von Hermann Hutmacher, 1. November, 15.30 Uhr; «Ds Rütteli» von Ernst Balzli, 22. November, 15.30 Uhr; «Dr Chläis, dr Plämpeler u Lehn Chrischte» von Helene Beyeler,
29. November, 15.30 Uhr.

24.09.2020 :: Gertrud Lehmann (glh)