Bergwaldbaden: Ein Konzept zum Entschleunigen und Achtsam sein

Bergwaldbaden: Ein Konzept zum Entschleunigen und Achtsam sein
Susanne Stalder-Bächler nimmt den Waldboden, und alles was sich dort abspielt, aufmerksam wahr. / Bild: Jakob Hofstetter (jhk)
Wiggen: Was die Japaner seit Jahren praktizieren und wissenschaftlich erforschen, funktioniert auch im Stächelmoos – das Waldbaden. Die Bäuerin Susanne Stalder-Bächler gibt Anleitung dazu.

Die Familie Stalder bewirtschaftet im Stächelmoos oberhalb Wiggen einen Landwirtschaftsbetrieb. «Wir sind nun über 30 Jahre hier, und mich hat der Wald immer fasziniert», sagt Susanne Stalder-Bächler. Erholung habe sie bei Waldspaziergängen gefunden. Irgendwann erzählte ihr eine Kollegin vom Waldbaden, da wurde Susanne Stalder-Bächler hellhörig. Seither ist sie noch bewusster in ihrem Bergwald unterwegs. Bewusst und doch absichtslos, wie sie sagt. Es gibt kein Leistungdenken, kein Beeren- oder Pilzesammeln, keine sportliche Leistung zu vollbringen. «Diese Aktivitäten sind auch okay, man darf dies nicht schwarz-weiss sehen.» Die Gefahr bestehe aber immer wieder, dass die Langsamkeit vergessen gehe.

Dennoch gibt es Grundsätze für dieses absichtslose Verweilen im Wald. Susanne Stalder-Bächler erwarb sich vertieftes Wissen darüber an der Deutschen Akademie für Waldbaden und Gesundheit in Landau, Rheinland-Pfalz. Dort wurde sie zur Kursleiterin ausgebildet. Nun bietet sie das Waldbaden in ihrem Bergwald im Stächelmoos an – noch nicht in grossem Stil, aber die Nachfrage sei da, und vielleicht könne ihr Angebot dereinst zu einem Betriebszweig avancieren, ist sie zuversichtlich.

Alle Sinne ansprechen

Wichtig sei das Bewusstsein, dass wir im Wald Gast seien und diesen mit dem gebührenden Respekt behandeln würden, sagt Susanne Stalder-Bächler vor der ersten Lektion.

Die Langsamkeit zu zelebrieren gehört zu den Grundelementen des Waldbadens. Dabei gehe es darum, achtsam zu sein und den Wald mit allen Sinnen wahrzunehmen, sagt die Kursleiterin. Als Beispiele übt sie zusammen mit ihren Gästen das Schlendern, betrachtet die kleine Spinne, die sich von einer zur anderen Lamelle eines Pilzes schwingt, und sie «begreift» einen Tannzapfen, dessen Beschaffenheit sie mit beiden Händen ganz bewusst wahrnimmt (siehe Kurzfilm auf www.wochen-zeitung.ch). Zu hören gibts ebenfalls vieles im Wald. Meistens sind es feine Geräusche und Töne, auch wenn ab und zu das Vogelgezwitscher und das Rauschen der Blätter durch ein laut heulendes Flugzeug und das ferne Surren eines Motormähers gestört wird. Grundsätzlich ist das Waldbaden eine leise Angelegenheit – gesprochen wird abgesehen von Anleitungen der Kursleiterin und einem allfälligen Austausch nach einer Übung kaum.

Es muss nicht ein Bergwald sein 

Susanne Stalder-Bächler und ihre Gäste können in einem idyllischen Bergwald mit viel Nadelholz das Waldbaden praktizieren. «Es funktioniert aber in jedem Wald, sogar in einem Stadtpark kann dieselbe Wirkung erzielt werden», weiss sie einerseits aus Studien, andererseits aus der Praxis. 

Waldbaden könne zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter – ausser bei Gewittern und starken Winden – zur Entschleunigung beitragen, hat die Kursleiterin die Erfahrung gemacht. Bis jetzt habe kaum je Wind und Wetter ihre Gäste vor dem Waldbaden abgehalten. 

Wenn Susanne Stalder-Bächler mit Menschen unterwegs ist, gilt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit diesen, und sie kann das Waldbad nur beschränkt auf sich wirken lassen. Deshalb sei sie auch oft allein im Wald unterwegs und praktiziere das Waldbaden. «Für mich ist es wichtig, dass ich mir genügend Zeit für mich persönlich nehme, so kann ich richtig auftanken.»

Das Video über das Waldbaden im Stächelmoos finden Sie unter www.wochen-zeitung.ch/WZ-TV.

In Japan entdeckt

In Japan liegt das Shirin Yoku, wie das Waldbaden dort genannt wird, seit den 1980er-Jahren im Trend. Dort geniesse es auch in der Forschung grosses Interesse, sagt Susanne Stalder-Bächler. «Es existieren zahlreiche wissenschaftliche Studien über dessen Wirkung. In Japan und auch in Südkorea wird das Waldbaden als Stressprävention und als Therapie vom Gesundheitswesen anerkannt», weiss sie. In Europa sei Waldbaden nicht zu verwechseln mit Waldtherapie, welche sich zwar ähnlicher Methoden bedienen könne, jedoch eher auf Beschwerden eingehe und von Ärzten angeboten werde.

24.09.2020 :: Jakob Hofstetter (jhk)