«Ich würde definitiv jederzeit wieder Schiedsrichter werden»

«Ich würde definitiv jederzeit wieder Schiedsrichter werden»
Läuft etwas im Spiel schief, steht häufig der Schiedsrichter im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. / Bild: Stephan Schori (ssr)
Fussball: Dem Amt des Schiedsrichters haftet ein negatives Image an, deshalb verzichten viele darauf, sich in dieser Funktion zu engagieren – aber ohne Schiris keine Spiele.

«Man muss manchmal auch für eine Fehlentscheidung geradestehen», erklärt Patrick Graf, der mittlerweile Leiter des Schweizerischen Fussballverbandes ist und auf eine langjährige Karriere als Schiedsrichter bis in die Super League zurückschaut. «Mit Sprüchen und Drohungen seitens Zuschauer lernt man mit der Zeit umzugehen. Auch wenn es im Moment jeweils gar nicht lustig ist, darf man das als Unparteiischer nicht persönlich nehmen», plaudert Graf aus dem Nähkästchen. In den meisten Fällen seien die Emotionen schlichtweg mit dem sportlichen Ehrgeiz verbunden. Klar gibt es Spieler mit mehr Temperament, aber damit lerne man als Schiedsrichter mit der Zeit umzugehen. «Die Erfahrungen, die ich als Schiedsrichter gemacht habe, sind für mich eine Lebensschule», erklärt Patrick Graf, und zwar im positiven Sinn. Sich als Schiedsrichter durchzusetzen und behaupten zu können, habe ihm im privaten und im geschäftlichen Leben oft weitergeholfen. Und genau diesen positiven Aspekt gelte es den jungen Leuten heute im direkten Gespräch klarzumachen, um sie als Schiedsrichter gewinnen zu können. Der Verband ist nicht untätig: Es werden Schulungen angeboten, Unterlagen überarbeitet, Wiederholungsabende zu Themen wie Gestik oder Umgang mit verschiedenen Kulturen geführt und sogar Tagungen und Intensivwochen angeboten. Doch all das wiegt nicht auf, was in der Gesellschaft als negativ wahrgenommen wird. «Keiner geht ins Stadion, um den Schiedsrichter zu sehen», erzählt der ehemalige Super--League-Schiedsrichter aus Hasle--Rüegsau.

Vom Team-Spieler zum Einzelkämpfer

Und doch gibt es die Unerschrockenen, diejenigen, die daran glauben, etwas Wichtiges für den Sport und für ihren Verein zu tun, so wie Stefan Siegfried aus Grosshöchstetten: Der 34-jährige Inhaber und Geschäftsführer der Schreinerei Siegfried in Grosshöchstetten hatte mit 18 Jahren das Einsehen, dass es ihm wohl nicht für die erträumte Fussballer-Karriere reichen würde, nichts desto trotz wollte er dem Sport verbunden bleiben und wechselte auf die Schiedsrichter-Seite. «Ich war motiviert, weil ich davon träumte, einmal in der Super-League zu pfeifen.» Es sei am Anfang manchmal hart gewesen, alleine zum Spiel zu fahren und sich alleine in der Garderobe vorzubereiten, während seine Kollegen im Teamverbund an ein anderes Spiel fuhren, erinnert sich Siegfried. Aber die Aussicht, in einer schwierigen Situation zu bestehen und das Spiel so zu leiten, dass der Schiedsrichter nicht das Thema ist, haben ihn angespornt, immer weiterzumachen. «Ich würde definitiv jederzeit wieder Schiedsrichter werden», erklärt Stefan Siegfried, der mittlerweile auch als Coach für jüngere Schiedsrichter amtet. «Es war eine richtige Lebensschule. Ich habe persönliche Sicherheit gewonnen und es fällt mir weniger schwer vor Leute hinzustehen und etwa eine Präsentation zu halten.» Ausserdem haben sich mit der Zeit auch Freundschaften mit anderen Schiedsrichtern gebildet, und spätestens ab der Zweitliga, wo man dann als Dreier-Team ein Spiel leitet, war er auch nicht mehr alleine. Ein weiterer Pluspunkt am Schiedsrichter-Amt sei für ihn, dass man durch die Kontakte zu Schiedsrichtern aus den oberen Ligen, stets auf dem Laufenden sei, was in der Fussballwelt läuft. Stefan Siegfried gehörte auch einige Zeit der regionalen Talentfördergruppe an. «Vor acht, neun Jahren, entschied ich mich für die Assistenten-Funktion und wurde dann aufgeboten zu einem Jahr in der Erstliga. Da stand ich unter besonderer Beobachtung. Doch leider hat es nicht gereicht und ich wurde wieder in die Zweitliga regional zurückgestuft», erzählt Siegfried. Klar sei er enttäuscht gewesen, es nicht geschafft zu haben, dennoch nehme er viele schöne Momente mit; zum Beispiel die Spiele auf der U17- und U18-National-Stufe, wo heute bekannte Namen, wie Haris Seferovic, darunter waren. Nach 16 Jahren in der Funktion des Schiedsrichters denke er aber auch langsam ans Aufhören. «Ich helfe im Moment einfach noch aus Goodwill gegenüber dem Klub mit», sagt Stefan Siegfried.

Vereine in der Klemme

Der FC Grosshöchstetten-Schlosswil hat derzeit Inserate geschaltet, um neue Schiedsrichter zu finden – gemeldet hat sich aber niemand. In derselben Situation würden sich diverse Vereine aus der Region befinden, weiss Patrick Graf vom schweizerischen Fussballverband. Schweizweit haben wir derzeit ungefähr 5000 aktive Schiedsrichter, in der Region Bern sind es deren 620 – seit Jahren zu wenige. «Wir schaffen es immer wieder alles abzudecken, weil es Schiedsrichter gibt, die bereit sind, zwei Einsätze pro Wochenende zu leiten, doch optimal ist das nicht», so Graf. Ausserdem brauche es immer mehr Schiedsrichter bei all den neuen Spielformen und Wettbewerben. Fraglich sei auch, ob die Form, dass Vereine ihre eigenen Schiedsrichter rekrutieren müssen, noch zeitgemäss ist, oder ob es nicht Sinn machen würde, zum Beispiel einen Pool vom Verband zur Verfügung zu stellen. Denn es gäbe auch Fälle, wo sich die Vereine gegenseitig Schiedsrichter abwerben, so Graf. Wenn ein Verein nicht genügend Schiedsrichter stellen kann, bezahlt er eine Busse oder schlimmstenfalls kann eine Mannschaft deswegen nicht an der Meisterschaft teilnehmen, was nicht dem Sportgeist entspricht. Die Regionalverbände versuchen dort zu unterstützen, wo es nötig ist, doch bisher hat kein grösseres Umdenken stattgefunden, erklärt Patrick Graf, allerdings: «Der Fussballverband Nordwestschweiz geht nun in eine neue Richtung mit einem Pilotversuch, bei welchem nicht mehr die Vereine ihre Schiedsrichter suchen, sondern dem Verband die entsprechenden Gelder zur Verfügung stellen, damit sich dort eine verantwortliche Stelle dem ganzen Schiedsrichter-Wesen annimmt», erklärt Graf. Vielleicht sei das zukunftsweisend, man werde es sehen.


Werde Schiedsrichter

Egal, mit welchen Massnahmen man versuche, neue Schiedsrichter zu finden; das Wesentliche sei, den potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten in persönlichen Gesprächen aufzuzeigen, dass das Amt des Schiedsrichters viel Positives mit sich bringt, erklärt Patrick Graf. Denn alle Kampagnen über soziale Medien, wie beispiels-weise die Website «werdeschiri», und Inserate bringen schlussendlich nichts, wenn die Kandidatinnen und Kandidaten sich nicht eignen oder nach kurzer Zeit wieder abspringen. Ab 15 Jahren kann man sich als Schiedsrichter ausbilden lassen, man muss fit genug sein, um die 90 Spielminuten konzentriert bleiben zu können. Auch dürfe natürlich eine gewisse Fussballbegeisterung nicht fehlen. Es sei aber nicht zwingend notwendig, selber schon Fussball gespielt zu haben, erklärt Graf. Nach der Ausbildung leite man zuerst zwei Testspiele, bei welchen man engmaschig begleitet und beobachtet wird und danach beginnt auch die Schiedsrichter-Karriere, wie im Fussball selber, bei den C-Junioren. Erst ab der zweiten Liga gibt es die Änderung, dass man nicht mehr alleine ein Spiel leitet, sondern in einem Dreier-Team. Stets begleitet von jährlichen Wiederholungskursen und Konditionstests. Bis in die Spitze der Challenge und der Super League schafft es ungefähr ein Prozent aller Schiedsrichter. Was man von einem solchen Amt aber lernen könne, überwiege alles Negative, so Graf: «Man lernt Entscheide zu fällen und sich durchzusetzen. Man muss auch mal einen Fehlentscheid vertreten können, also hin stehen und sagen, so habe ich mich entschieden, es war falsch, aber nun nicht mehr rückgängig zu machen. Fehler passieren – das ist auch im Privat- oder Geschäftsleben so. Aber wichtig ist eben, dass man sich entscheidet und dafür einsteht und wenn man eben mal einen Fehler macht, auch dazu steht.»

Werde Schiedsrichter

Mehr Informationen gibt es beim lokalen Fussballverein, auf der Website des Schweizerischen
Fussballverbands oder auf www.werdeschiri.ch

04.06.2020 :: Olivia Portmann (opk)