Ein herzzerreissendes Wochenende

Kolumne:

Ohne Auto fühle ich mich vorbildlich. Ich kann Autofahrern mit hochgezogenen Augenbrauen begegnen. Die fühlen sich dann mies, ich mich gut. Ha, Bahnfahren ist doch kein Problem, sag ich gerne. Allerdings hätte ich mir letzten Sonntag nichts sehnlicher gewünscht als so ein Automobil.

Der fehlende Appetit meiner Katze Heidi gab mir zu denken. «Madame Heidi schmeckt es mal wieder nicht», dachte ich genervt. Doch am Sonntagmittag schnaufte das Geschöpf plötzlich mit offenem Mund und zog den Bauch komisch ein. Ihr Blick flehte: «Hilf mir!» Nein, ich war nicht die Ruhe selbst. Vielmehr rannte ich rum und versuchte, sonntags einen Tierarzt aufzutreiben: Zuerst probierte ich es bei der bewährten Signauer Tierärztin, die nicht abnahm – warum auch, am Sonntag? Beim zweiten Anruf quatschte ich ihr aufgeregt die Box voll. Jetzt hatte auch ich Schnappatmung.

Eine halbe Stunde später, oh Wunder, rief die Tierärztin zurück und entschuldigte sich, sie sei mit einer Kuh-Zwillingsgeburt beschäftigt gewesen. Eigentlich hätte ja eher ich mich für die Störung entschuldigen müssen... Strahlender Sonnenschein, gut gelaunte Ausflügler, flitzende Velofahrer – Heidi protestierte auf dem Weg zur Praxis lauthals in ihrer Box, als wollte sie sagen: «Es reicht wohl nicht, dass es mir dreckig geht? Jetzt schleifst du mich auch noch durchs Dorf.» Zu allem übel hatte ich den Alpakamantel angezogen und schwitzte wie ein Affe.

Die wunderbare Tierärztin untersuchte kurz und fackelte nicht lange. Heidi müsse geröntgt werden, das sehe gar nicht gut aus. Ich solle sofort nach Thun in die Tierklinik. Was ist schlimmer als Katze krank und Sonntag? Richtig: Katze krank, Sonntag und kein Auto. Ich schleppte meine maunzende Mieze wieder heim. Wer hat alles ein Auto? Ich durchforstete mit zittrigen Fingern meine Kontakte auf dem Smartphone. Natürlich war niemand da. Alle machten einen Ausflug oder fuhren Velo.

Kurz bevor ich durchdrehte, rief ich meine Freundin an, von der ich wusste, dass sie eineinhalb Stunden von Signau entfernt arbeitete. Was ist besser als kein Auto? Eine wirklich gute Freundin mit Auto! Sie unterbrach ihre Arbeit, raste in Rekordzeit nach Signau und fuhr uns in die Tierklinik.

Der Rest ist schnell erzählt: Meine zwölfjährige Heidi hat ein krankes Herz. Die Katzen-Kardiologin wird sie medikamentös einstellen. Was das alles kostet? Vielleicht eine Woche Bade-Ferien. Egal, ich streichle lieber eine schnurrende Heidi, das ist besser als Urlaub.

05.03.2020 :: Christina Burghagen (cbs)