«Die Gesellschaft entfernt sich immer mehr von der Landwirtschaft»

«Die Gesellschaft entfernt sich immer mehr von der Landwirtschaft»
Kanton Bern: Während zehn Jahren war Kathrin Schneider Präsidentin der Bärner Bio Bure. Letzte Woche wurde ihre Nachfolgerin gewählt – ein Rückblick auf eine bewegte Zeit.

Die Bärner Bio Bure, eine Mitgliederorganisation von Bio-Suisse, haben letzte Woche ihre Hauptversammlung abgehalten. Wichtigstes Traktandum war die Wahl ums Präsidium. Kathrin Schneider aus Walkringen hatte ihren Rücktritt angekündigt. Ihre Nachfolge antreten wollten die Vorstandsmitglieder Peter von Gunten sowie Monika Sommer. Das Präsidium bleibt in Frauenhand: Sommer erhielt drei Stimmen mehr als Peter von Gunten.  



Kathrin Schneider, das Präsidium der Bärner Bio Bure scheint ein begehrter Posten zu sein. 

Dass es eine Kampfwahl ums Präsi-;dium gibt, ist schon eher die Ausnahme. Es ist halt so, dass unsere Organisa-tion sehr vielfältig ist: Milchbauern, «Gmüeseler», Obstproduzenten, Geflügelhalter, Ackerbauern, Fleischproduzenten, Winzer und sogar Fischzüchter Pilzproduzenten. Hinzu kommt: Manche bewirtschaften ihre Höfe seit jeher biologisch, andere sind erst in letzter Zeit dazugekommen.  



Teilen Sie die Ansicht, dass in letzter Zeit Bauern vor allem aus wirtschaftlichen und nicht aus ideologischen Gründen auf Bio umgestellt haben?

Nicht ganz, aber die Wertschöpfung spielt eine zentrale Rolle. Ich kenne einige konventionelle Milchbauern, die sich in der Vergangenheit überlegten, was sie unternehmen könnten, um die Wertschöpfung zu erhöhen und schliesslich auf Bio gewechselt haben. Ich denke aber nicht, dass man umstellen kann, wenn einem die Knospe-Richtlinien völlig gegen den Strich gehen.



Eine dieser Richtlinien schreibt vor, dass ab 2022 bei Wiederkäuern das gesamte Futter aus der Schweiz
stammen und Knospe zertifiziert sein muss. Hinzu kommt, dass der maximale Anteil an Kraftfutter von zehn auf fünf Prozent gesenkt wird.
Ist die Regelung ein Grund, warum 2019 weniger Betriebe auf Bio
gewechselt haben?  

Umgestellt haben in den letzten Jahren tatsächlich auffällig viele Ackerbaubetriebe. Was die angesprochenen, verschärften Regeln betrifft: Es wird spannend zu beobachten sein, wie Betriebe reagieren, die bislang Futter zugekauft haben. Weil nun alles der Knospe-Qualität entsprechen muss, wird das Futter wohl teurer. Eine Alternative wäre, weniger Tiere zu halten oder sogar bei Bio auszusteigen.



Aussteigen ist nun für einige Milchbauern ein Thema, welche nach der mehrjährigen Umstellungsphase ihre Milch nicht in den Biokanal liefern können, weil zu viel Biomilch produziert wird. 

Ich kann deren ärger völlig verstehen. Ich hoffe, dass der Markt weiter wachsen und sich die Lage entspannen wird. Viele Leute fordern eine nachhaltige Produktion, kaufen aber am Ende das günstigste Produkt. Hier muss man ansetzen. Nicht umsonst lautet das neue Ziel der Berner Bio-Offensive, den Absatz anzukurbeln (siehe Kasten).



Auf Ihrem Betrieb bauern Sie nun nach Demeter-Richtlinien und halten eine neue Kuhrasse. Spielte der
Absatz dabei eine Rolle?

Es waren ganz viele Faktoren. Ich und mein Mann Res, der den Betrieb hauptsächlich führt, haben uns schon länger nach einer kleineren Kuhrasse umgesehen, weil wir «stotziges» Land haben. Dank der kleineren Hinterwälder Kühen konnten wir den Anbindestall einfacher in einen Laufstall umbauen. Dann erhielten wir die Gelegenheit, die Milch direkt in die Biomilk nach Worb liefern zu können, wofür aber das Demeter-Label nötig war. Nach einigem überlegen war für uns klar, das wir das machen wollen. Vor allem Res wollte sich noch einmal weiterentwickeln; ich war – das muss ich zugeben – zu Beginn eher skeptisch. Mittlerweile sind wir beide von Demeter überzeugt. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass die Gülle weniger stinkt.

Vielen Bauern stinkt derzeit die Trinkwasser-Initiative, über die im November abgestimmt wird. Welche Haltung haben die Bärner Bio Bure? 

Ich weiss nicht, ob sich die Initianten im Klaren sind, welche grundlegende änderung sie da vorhaben. Wenn die Initiative wortwörtlich umgesetzt wird, würde dies auch für viele Knospe-Betrieb das Aus bedeuten. Beispielsweise halten viele Bauernfamilien in Bergregionen ein paar Dutzend Hühner, können aber das Futter, Getreidekörner, nicht selber produzieren, was nicht dem Initiativtext entsprechen würde. Auch setzen Bio-Bauern Pflanzenschutzmittel ein, wenn auch keine synthetischen.



Wie machen Sie das auf Ihrem Hof?

Generell spritzen wir keinen Kupfer mehr, obwohl das in gewissen Mengen  erlaubt wäre. Letztes Jahr mussten wir aber beispielsweise ein Mittel spritzen, um den Befall der Kartoffelkäfer einzudämmen – ansonsten hätten wir gar keine Kartoffeln ernten können.



Viele Konsumenten verbinden das Bild des Biobauern ganz und gar nicht mit einer Feldspritze. 

Wenn die Werbung zeigt, dass jedes Huhn direkt in den Grossverteiler geht, um sein Ei zu legen, vermittelt das ein völlig falsches Bild. Es ist auch so, dass heute viel weniger Menschen einen Bezug zur Landwirtschaft haben als vor Jahrzehnten, als jeder noch einen Onkel oder Götti hatte, der Bauer war. Die Gesellschaft entfernt sich immer mehr von der Landwirtschaft. Ich stelle das auch immer wieder bei meiner Tätigkeit als Primarlehrerin fest: Viele Kinder denken, dass an jedem Baum pralle äpfel mit roten Backen wachsen – einfach so. Dass dahinter viel Arbeit steckt, wissen sie nicht.



Diesem Image können die Landwirte nicht genügen.

Viele Landwirte fühlen sich zunehmend einem grossen Druck ausgesetzt: Ihr wollt Direktzahlungen, dann arbeitet gefälligst nachhaltig und günstig. Ein Zeichen der überforderung sind die vielen psychischen Probleme, unter denen Bäuerinnen und Bauern leiden.



Was ist zu tun?

Aufklärung ist sicher wichtig. Die Konsumenten müssen Zusammenhänge erkennen können. Wir haben bei den Bärner Bio Bure aus diesem Grund beim Projekt «Emma auf Hoftour» mitgemacht und sind auch an Messen wie der BEA präsent.



Künftig werden Sie nicht mehr oft für die Bärner Bio Bure unterwegs sein. 

Langweilig wird es mir sicher nicht. Auch werde ich wieder mehr Zeit finden, um meinen Mann Res bei den Arbeiten auf unserem Hof zu unterstützen.

Bio-Offensive geht in eine neue Richtung
Seit dem Start der Berner Bio--Offensive im Jahr 2016 haben 256 Landwirtschaftsbetriebe auf Bio umgestellt. Der Anteil Bio-Betriebe im Kanton Bern beträgt nun 14 Prozent. Damit sei das Ziel – mindestens 200 neue Biobetriebe in vier Jahren – erreicht worden, hält Ernst Flückiger vom landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum Inforama fest. Der Trägerschaft gehören weiter an: Berner Bauernverband, Bärner Bio Bure, Bio Suisse und Berner Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften.  2019 haben weniger Betriebe umgestellt als im Vorjahr, auch weil bei einzelnen Produkten wie beispielsweise Milch und Schweinefleisch das Angebot grösser war als die Nachfrage. «Deshalb wird der Fokus der Bio-Offensive auf das Jahr 2025 hin auf den Absatz gelegt», erklärt Ernst Flückiger. «Dank Information und neuen Plattformen soll vor allem die -regionale Vermarktung von Bio-produkten angekurbelt werden.»
05.03.2020 :: Bruno Zürcher (zue)