Eile ohne Weile

Kolumne:

Fehlen Ihnen auch täglich ein paar Stunden? Nicht einer vorausgegangenen Alkoholorgie oder einer Amnesie wegen. Sondern, weil der Tag zu kurz ist, um alle die Dinge zu erledigen, die eigentlich erledigt sein müssten.

Dabei spielen Computer und Mobiltelefone als sadistische Zeitbeschleuniger (oder besser: Zeitfresser) eine üble Rolle.

Kaum ist der PC aufgeschaltet, klingelts schon im Mailbriefkasten. 40, 50, 60, ja, oft gar um die hundert Mails sinds pro Tag. Natürlich sind etliche davon Schrottmails und können ohne Weiteres gelöscht werden. Aber dann gehts ans Eingemachte. Der Grossteil der Mails MUSS bearbeitet, MUSS beantwortet werden. UND ZWAR SUBITO (oder noch schneller)! Der Schreiber erwartet nämlich umgehend Antwort.

Mal angenommen, dass die seriöse Beantwortung einer Nachricht durchschnittlich sieben Minuten erfordert, dann fressen 40 Mail bereits 4 ½ (in Worten: viereinhalb) Stunden der Arbeitszeit auf. Und da sind die Whatsapp- und SMS-Nachrichten noch nicht einmal mitgerechnet.

Und auch nicht die ebenso dringenden und zeitraubenden Anrufe auf das Mobiltelefon. Auch diesbezüglich wird die lückenlose Erreichbarkeit schier rund um die Uhr erwartet, wehe, man ruft nicht innert einer Viertelstunde (grosszügig gerechnet) zurück! Nur unter uns gesagt: Ich weiss oft nicht einmal, wo sich mein Handy grad wieder mal versteckt hat.

Ich denke halt oft, dass früher manches besser war. Bei uns zu Hause gabs, als ich noch Kind war, ein einziges Telefon. Es hing an der Wand in der Wohnung der Grosseltern. Kam ein Anruf für meine Eltern herein, so klopfte Grossmutter mit dem Besenstiel gegen die Decke und Mutter oder Vater begaben sich ohne Hast und Eile in den unteren Stock um das Gespräch zu führen. Und es waren, so meine ich mich zu erinnern, jeweils kurze Gespräche.

Und statt der Mailflut trafen ab und zu Briefe ein. überbracht durch den Briefträger, der durchaus auch mal etwas Zeit für einen kurzen Kaffeeschwatz mit Mutter oder Grossmutter fand.

Man las den Brief, der natürlich bereits zwei Tage alt war und beantwortete ihn mit Bedacht, Sorgfalt und Handschrift, um ihn dann zur Post zu bringen, damit er weitere zwei bis drei Tage später wieder beim Empfänger ankam.

Von solchen Zeiten mit Weile ohne Eile träume ich oft. Am häufigsten jedoch, wenn eine Mail von der Redaktion eintrifft und mich zum sofortigen Einsenden meiner überfälligen Kolumne auffordert. Einer Kolumne notabene, die ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal geschrieben habe.



30.01.2020 :: Peter Leu