Wildkatze: Die Wildkatze wird vom Menschen kaum wahrgenommen, erhält nun aber Aufmerksamkeit:
Pro Natura hat sie zum Tier des Jahres erkoren. Um mehr über ihre Verbreitung und die Gefahr durch Hauskatzen zu erfahren, gelangen auch Baldrian und Holzlatten zum Einsatz.
Kaum jemand hat die Europäische Wildkatze in freier Wildbahn schon zu Gesicht bekommen. Sie ist scheu, nachtaktiv und lebt gut getarnt in Wäldern. Nun verhilft Pro Natura ihr mit der Auszeichnung «Tier des Jahres» zu Popularität. Die Wildkatze sei eine Botschafterin für wilde Wälder, deckungsreiche Kulturlandschaften und wirkungsvollen Naturschutz, so die Begründung. Einst sei die elegante Jägerin kurz vor der Ausrottung gestanden. Sie sei erbarmungslos als vermeintlicher Schädling verfolgt worden. 1962 wurde sie unter Schutz gestellt, gerade noch rechtzeitig. Die Naturschutzorganisation erachtet es als möglich, dass die Tiere aus Frankreich wieder eingewandert sind. In den 1960er- und 1970er-Jahren hätten zudem amtliche Stellen und Privatpersonen mehrere Tiere ausgesetzt. Pro Natura sieht gute Chancen, dass das Raubtier seinen Lebensraum vom Jura, dem Hauptverbreitungsgebiet, über das Mittelland bis in die Voralpen ausdehnen kann, warnt aber gleichzeitig: «Ganz gerettet ist die Art noch nicht.» Noch steht sie auf der roten Liste.
Stichproben im Emmental und Entlebuch Um mehr über den Stand der Verbreitung der Wildkatze in der Schweiz zu erfahren, hat das Bundesamt für Umwelt bereits vor zehn Jahren ein Monitoring gestartet. Die aktuell laufende Zweiterhebung des Monitorings leitet Beatrice Nussberger, Mitarbeiterin bei Wildtier Schweiz, dem Kompetenzzentrum für Wildtierbiologie. Sie hält heute Donnerstag in Langnau einen Vortrag zum Thema (siehe Textende). «Vor zehn Jahren ging man von einigen hundert Tieren aus», erklärt sie. Die Resultate der zweiten Erhebung würden im Frühling 2021 bekannt gegeben. Es gebe Anzeichen dafür, dass sich die Wildkatze weiterverbreitet habe. «Wir haben vermehrt Nachweise an Orten, wo sie bisher nicht vorgekommen ist», sagt Beatrice Nussberger. Deshalb würden Proben nicht nur im Jura, sondern auch in Teilen des Mittellandes und der Voralpen entnommen. So auch im Emmental und Entlebuch, obwohl man dort noch keine Sichtungen gemacht hat. «Diese Region bietet zwar genügend grosse Wälder, jedoch stellt der Schnee möglicherweise ein Problem dar», erklärt die Projektleiterin. Liegt dieser zu hoch, kann die Wildkatze ihre Hauptbeute, Mäuse, nicht mehr jagen.
Die Feldarbeit leisten lokale Wildhüter, Jäger und Naturschutzbeauftragte. Dabei bedienen sie sich einer speziellen Methode, wie die Wildtierbiologin aufzeigt: «Auf einer Fläche von einem Quadratkilometer wird an drei Stellen Baldriantinktur auf eine rohe Holzlatte gesprüht. Diese zieht die Katzen an. Sie reiben sich daran und hinterlassen so ihre Haare.» Eine genetische Analyse ermögliche Rückschlüsse auf die Artzugehörigkeit des Tiers.
Gefahr durch Hauskatzen Nebst einer Aussage zur Verbreitung der Wildkatze in der Schweiz verfolgt der Verein Wildtier Schweiz mit dem Monitoring ein weiteres Ziel: «Die Haarproben geben Aufschluss darüber, wie stark sich die Wildkatze mit der Hauskatze vermischt hat», führt Beatrice Nussberger aus. Denn das könne eine Gefahr für die wildlebende Art bedeuten, gerade in kleinen Populationen oder am Rand der Verbreitung wie in der Schweiz. Hauskatzen sind zwar Verwandte, stammen aber von der afrikanisch-asiatischen Wildkatze ab. Paaren sie sich, kommen fortpflanzungsfähige Jungtiere zur Welt. «Die Befürchtung ist, dass die Wildkatze ihre Gene, die sich an die Umweltbedingungen und den Lebensraum angepasst haben, mit der Zeit verliert.» Die Hauskatze sei möglicherweise weniger gut geeignet, in unseren Breitengraden in der Wildnis zu überleben. «überspitzt formuliert weiss eine Wildkatze mit der Zeit nicht mehr, wie eine Wildkatze lebt. Die Art droht, genetisch zu verschwinden.» Die Wildtierbiologin ergänzt, dass noch nicht bekannt sei, ob durch die Kreuzung gesundheitliche Schäden auftreten könnten, etwa indem Wildkatzen plötzlich anfälliger seien gegenüber gewissen Krankheiten. Dass die so genannte Hybridisierung existiert, hat schon die Erhebung von vor zehn Jahren ergeben: Damals stelle man fest, dass jede vierte bis fünfte Wildkatze in einem gewissen Mass Hauskatzenblut in sich trägt.
Kulturland muss kein Hindernis sein Die Naturschutzverbände appellieren an die Katzenbesitzer, ihre Stubentiger – 1,6 Millionen leben in der Schweiz – kastrieren beziehungsweise sterilisieren zu lassen. «Eine weitere Möglichkeit ist, die Hauskatze über Nacht nicht ins Freie zu lassen», rät Beatrice Nussberger. Um die Verbreitung der Wildkatze zu fördern, gelte es zudem, ihre Lebensräume zu erhalten. Jeder könne dazu beitragen, etwa indem man im Wald die Wildruhezonen respektiere und nur offizielle Wege benutze. Aber auch der offenen Kulturlandschaft kommt eine grosse Bedeutung zu, denn die Wildkatze entpuppt sich als anpassungsfähig. So haben Forschungsergebnisse der Stiftung Kora (Raubtierökologie und Wildtiermanagement) gezeigt, dass sie sich auch ausserhalb von Waldgebieten behaupten kann. «Dazu braucht sie aber Rückzugsmöglichkeiten wie Hecken und Waldinseln», betont Beatrice Nussberger. Und auch sichere Wildtierpassagen seien wichtig, damit die Tiere nicht dem Strassenverkehr zum Opfer fallen würden.
Vortrag mit Beatrice Nussberger, heute Donnerstag,
23. Januar, 20 Uhr, Singsaal der Primar- und Realschule
Höheweg, Langnau. Organisator: Pro Natura Oberemmental und Langnauer Natur- und Vogelschutz.