In einem Kurs mit Pferden begegnen Menschen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen ihren ängsten. Sie lernen, Verantwortung zu übernehmen.
Kaum sind die ersten Reiter auf ihre Pferde gestiegen, beginnt es wie aus Kübeln zu giessen. Doch das tut der guten Stimmung der Kursteilnehmenden und den Begleitenden keinen Abbruch; rasch sind die Regenjacken angezogen und der Ausflug kann weitergehen. «Es kommt schon vor, dass jemand bei schlechtem Wetter lieber zu Hause bleiben möchte. Aber das ist ein Teil des Kurses, dass die Teilnehmer ihre Verbindlichkeit wahrnehmen und trotzdem erscheinen», sagt die Kursleiterin Marlis Erhard. Auf dem Landwirtschaftsbetrieb von Lebenspartner Peter Fankhauser in Zollbrück werden, nebst Pferdegestützter Therapie, Kindernachmittagen, Westernreiten, Voltige und Reitlager, jährlich zwei Pferdekurse für die Volkshochschule Plus Bern (siehe Kasten) angeboten. An zwölf Vormittagen lernen die Teilnehmenden die Pferde zu pflegen, zu führen und reiten meist geführt im Gelände oder auf dem Reitplatz.
ängste und Erwartungen Durch den Regen ist der Grasweg glitschig geworden; die Appaloosa-Stute Corona rutscht und stolpert leicht. Reiterin Sandra (die Namen der Teilnehmenden sind von der Redaktion geändert worden) erschrickt und klammert sich an den Sattel. «Ich habe es nicht gerne, wenn es so ruckelt, das macht mir ein bisschen Angst», gibt sie zu. Aber sie vertraue Corona und sie wolle nicht absteigen. Die Konfrontation mit ängsten und Erwartungen gehöre im Umgang mit Pferden dazu, gibt Marlis Erhard Auskunft. «Zu Beginn dieses Kurses hielten die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer Abstand zu den Pferden. Sie hatten Respekt vor den grossen Tieren und wollten sie nicht berühren», erinnert sich die Reitpädagogin. Es brauchte mehrere Anläufe, bis sich alle überwinden konnten, die Pferde zu striegeln und beim Satteln zu helfen. «Jeder soll selber bestimmen können, wann und wie er sich dem Pferd nähern möchte. Das Tempo ist stimmungsabhängig, es kann auch Rückschritte geben.»
Renate kennt keine Berührungsängste mit Pferden. Sie hilft sogar beim Hufauskratzen mit. Sie teilt sich mit Sandra die Stute Corona und lässt ihrer Reitkollegin den Vortritt: «Ich weiss, dass Sandra mehr Mühe mit dem Aufsteigen hat als ich. Hier auf dem Hof kann sie bequem von der Treppe aus aufsteigen. Ich kann dann unterwegs von einem Bänkli in den Sattel klettern», sagt Renate. Sie habe bereits früher geritten und sei daher keine Anfängerin mehr. «Reiten ist Sport – schon das Putzen ist anstrengend. Nach dem Ausritt bin ich meistens müde. Aber das macht nichts, ich freue mich immer auf die Zeit mit den Pferden.»
Gemeinsam einen Weg finden Anders als bei einer Einzeltherapie-Stunde komme bei einem Kurs mit einer Gruppe auch das Soziale zum Tragen. «Nicht immer sind sich alle untereinander einig, wer welche Aufgaben übernimmt. Es kann auch vorkommen, dass sich zwei gar nicht mögen und trotzdem einen gemeinsamen Weg finden müssen. Das Miteinander ist auch ein Ziel des Kurses», erklärt Marlis Erhard. Das Pferd spiegle den Menschen mit seinen Stimmungen wider und zeige so grundlegende Themen auf, erklärt die 44-Jährige. Sei ein Teilnehmer ängstlich, reagiere auch das Pferd eher mit Angst und Unsicherheit. «Das Pferd ist ein soziales Tier, es lebt im Moment und ist nicht per Knopfdruck steuerbar. Die Kursteilnehmer lernen, sich auf das Tier einzulassen und sich, wenn nötig, auch einmal mutig durchzusetzen.» Das Pferd widerspiegle auch unsere Wünsche: Gross, stark und stolz und doch verletzlich. «Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer schätzen das Gefühl, getragen zu werden und geniessen es, das Fell zu berühren», hat Marlis Erhard die Erfahrung gemacht.
Pferde sind speziell ausgebildet In der Mitte des Ausritts steht ein Reiterwechsel an. Diejenigen, die zuvor das Pferd geführt haben, steigen nun auf. «Renate wird nach Hause reiten und ich halte Corona am Strick», erklärt Sandra. Beim Führen wird sie von Peter Fankhauser unterstützt. Die Pferde, welche für die Reittherapie und die Kurse eingesetzt werden, sind speziell für diese Aufgabe ausgebildet. «Wichtig ist, dass die Tiere ausgeglichen sind. Bei uns leben sie im artgerechten Offenstall, wo sie viel Bewegung haben und in einer Herde leben», beschreibt Marlis Erhard.
Der Regen hat nachgelassen und Reiter und Fussgänger kehren zum Hof Mungnau zurück. Die Pferde werden abgesattelt, gestriegelt und gefüttert. Zwei Teilnehmer schleichen ab und setzten sich bereits an den Tisch. Marlis Erhard bittet sie, ihr Reitpferd in den Stall zu bringen. Nach einem kurzen Murren machen sich die beiden Herren an die Arbeit. «Nach dem Ausflug fällt die überwindung, noch einmal mitanzupacken, oft schwer. Sich zusammenzuraufen und über den inneren Widerstand hinauszugehen ist aber eine gute Erfahrung, die den Teilnehmenden in ihrem Alltag helfen kann», weiss die Reitpädagogin.