Tom Lüthi muss schon im ersten Rennen Gas geben

Tom Lüthi muss schon im ersten Rennen Gas geben
Moto-GP: Am Sonntag beginnt wieder die Motorrad-Weltmeis-terschaft. Erstmals ist ein Emmentaler in der Königsklasse mit dabei. Tom Lüthi muss schon im ersten Rennen Gas geben.

«Tom bleibt die erste Saisonhälfte, da muss es schon passen», sagt Lüthis langjähriger Manager und Förderer Daniel Epp klipp und klar zur Ausgangslage seines Schützlings. Eine Schonfrist hat der 125er-Champion von 2005 und zuletzt zweimalige Vizeweltmeister in der Moto2-Klasse keine. Lüthis Vertrag mit dem Honda-Team Marc VdS in der Königsklasse MotoGP läuft über ein Jahr, mit Option auf eine zweite Saison. «Aber die hat das Team, und dieses wird vor-aussichtlich schon im Sommer entscheiden, wenn die Transfergespräche beginnen», erklärt Epp. Die Uhr tickt aber schon länger.

16 Mal (bei 33 Starts) stand Lüthi während der letzten zwei Jahre in der zweithöchsten WM-Klasse Moto2  auf dem Podest, sechs Mal davon als Sieger. Wegen der sehr hohen Konstanz holte der belgische Bierbrauer-Milliardär Marc van der Straten den mittlerweile 31-jährigen Emmentaler zu sich ins Team. Aber dort gelten die Lorbeeren der vergangenen Jahre seit diesem Januar nichts mehr. Lüthi kämpft in der MotoGP um den Anschluss – und hat diesen bei bisher drei mehrtägigen Testfahrten noch nicht gefunden. Was auch erklärbar ist: Lüthi fehlte Ende des letzten Jahres verletzungsbedingt (Bruch des Sprungbeins am linken Fuss) bei den Testfahrten in Valencia (E). So habe er es verpasst, erste wichtige Eindrücke in die Winterpause mitzunehmen, damit zu arbeiten und sich auf sein MotoGP-Debüt vorbereiten zu können. Denn sein neues Motorrad hat mit jenem vom letzten Jahr nichts mehr gemeinsam: 1000 Kubikzentimeter, statt 600, mit 260 statt 140 PS, 360 km/h Spitze, statt 290, und ganz viel Elektronik am Lenker, welche von Motorbremse bis Traktionskontrolle softwaremässig regelt. «Zweifellos die grösste Herausforderung für mich», gibt Lüthi zu, der davon spricht, dass er in der MotoGP das rennmässige Töfffahren neu lernen muss. Früher, in den PS-schwächeren Kategorien, fuhr er Kurven mit Schwung aus, mit den PS-Monstern der Königsklasse wird das brutaler, vom Bremsen bis zum Gasgeben.



Eindrückliche Debütanten

Erst Ende Januar schwang sich Lüthi auf das neue Bike. In Sepang (MAL) trennten ihn nach drei Testtagen 2,2 Sekunden vom dreimaligen MotoGP-Champion Jorge Lorenzo (E/Ducati), Mitte Februar in Buriram (T) waren es noch 1,5 Sekunden auf Honda-Werkskollege Dani Pedrosa (E), und Anfang März in Losail (Q) deren 2,1 auf Johann Zarco (Yamaha). Der Franzose schlug Lüthi 2016 im Titelduell der Moto2 und debütierte letztes Jahr sensationell in der Königsklasse. Drei Mal (bei 18 GPs) stand Rookie Zarco auf dem Podest und war am Ende als Klassenneuling WM-Sechster.

In den vergangenen fünf Jahren debütierte nur Superstar Marc Marquez eindrücklicher: Der Honda-Werkspilot aus Spanien holte sich in seiner MotoGP-Premierensaison 2013 gleich den Titel, letztes Jahr bereits den vierten (vergleiche dazu Kasten). Aber Marquez hatte damals andere Voraussetzung als Lüthi heute. Für den Ausnahmekönner aus Spanien wurde 2013 eine Regel abgeschafft, die besagte, dass MotoGP-Neulinge nicht direkt für ein Werksteam fahren dürfen. Das Honda-Werksteam HRC machte Druck auf die MotoGP-Promoter Dorna mit Sitz in Spanien, der Heimat von Marquez. Im GP-Zirkus schmeckte das vielen Menschen nicht, weshalb sie von einer spanischen «Töff-Mafia» sprachen.

Marc Marquez gewann 2013 als MotoGP-Rookie gleich sechs von 18 GPs, 16 Mal stand er insgesamt auf dem Podium! Keiner der weiteren 18 Neulinge, die in den vergangenen fünf Jahren in der Königsklasse debütierten, schaffte das annähernd. Neben Zarco realisierte nur noch dessen Teamkollege Jonas Folger (D) letztes Jahr einmal eine Podestplatzierung.



Starke Premieren der Stars

Die Geschichte zeigt auch: Nur vier weitere aktuelle MotoGP-Piloten sorgten schon von Beginn weg für Aufsehen – sie gehören heute zu den Stars der Königsklasse. Jorge Lorenzo (E) gewann in seiner Debütsaison 2008 mit dem Yamaha-Werksteam einen GP und stand als WM-Vierter bei insgesamt sechs auf dem Podest. Das gelang Andrea Dovizioso (I/Honda) im selben Jahr nur einmal, aber dank 17 Punkteklassierungen (bei 18 Starts) reichte es zu WM-Endrang 5. 2006 siegte der MotoGP-Debütant und WM-Vierte Dani Pedrosa (E/Honda-Werksteam) bei zwei GPs und holte insgesamt acht Podiumsplätze. Um den erfolgreichsten Rookie der Königsklasse nach Marquez zu finden, muss man aber ins Jahr 2000 zurück, als die MotoGP (ab 2002) noch die 500er-Klasse war: Als Vizeweltmeister gewann der heutige Superstar Valentino Rossi (I) mit Honda zwei Läufe und stand bei acht weiteren auf dem Podest.

Mit diesen Stars und ihren Maschinen der Viertakt-ära muss sich aber Thomas Lüthi nicht vergleichen wollen. Sie sind nicht der Massstab. Genauso wenig wie die bisherigen Königsklassen-Vertreter der Schweiz, die alle noch in jener Zeit fuhren, als die MotoGP noch die 500er-Kategorie war und mit Zweitakt-Bikes gefahren wurde. Eskil Suter war 1998 der letzte Eidgenosse: In acht Rennen holte er auf einer MZ-Weber sieben WM-Punkte (Rang 26). Auf das Podest der Königsklasse schafften es seit Einführung der Töff-WM 1949 fünf Schweizer. Der einzige Sieger war Michel Frutschi, der 1982 in Sanvenero (I) den GP gewann, den die damaligen Stars aber wegen Sicherheitsbedenken bestreikten. Der Schweiz-Ungare Gyula Marsovzky holte in den 1960er-Jahren fünf Podiumsplätze, ebenso wie Bruno Kneubühler in den 1970ern. Im gleichen Jahrzehnt standen auch noch Werner Giger und Philippe Coulon bei 500er-GPs jeweils zwei Mal auf dem Podest.



Massstab ist der Teamkollege

Lüthis Massstab ist sein Teamkollege bei Marc VdS-Honda, ebenfalls ein Rookie. Franco Morbidelli dominierte 2017 die Moto2 und holte sich als achtfacher Saisonsieger vor dem Emmentaler den Titel. Der Italiener aus dem Clan von Superstar Rossi gab schon bei den jüngsten Testfahrten den Takt an: In Buriram trennten ihn 0,86 Sekunden von der Spitze mit Pedrosa, und in Losail waren es deren 1,1 auf Zarco. «Franco ist bereit», meint denn auch Teamchef Michael Bartholemy. Lüthis Rückstand liege in der Zeit: «Er macht kontinuierlich Fortschritte, auch wenn das die Zeitentabelle nicht zeigt. Seine Rundenzeiten sind ähnlich deren, die wir im vergangenen Jahr beim GP gestoppt haben.» Bartolemy verweist auf den Rundkurs von Losail, dort, wo nun die Motorrad-WM beginnt und Lüthis Rennen um eine Vertragsverlängerung.


15.03.2018 :: Werner J. Haller