Bald ist Népal 700-facher Vater

Bald ist Népal 700-facher Vater
Kein Zuchthengst war in der Hengststation in Gohl länger im Einsatz als Népal. In seinem 25-jährigen Leben hat er 697 Nachkommen gezeugt. Die Nachfrage nach seinen erblichen Qualitäten ist immer noch gross.

Eine Schlaftablette ist er nicht. Mit seinen 25 Jahren steht der Freibergerhengst Népal mit hochaufgerichtetem Kopf da, jeder Muskel angespannt. Schnorchelnd zieht er die Morgenluft durch die Nüstern. «Trotz seiner imposanten Erscheinung ist er sensibel und umgänglich», sagt Jean-Philippe ChÊne von Schweizer Nationalgestüt (SNG) von Agroscope in Avenches. Seit neun Jahren betreut er den Hengst; sie sind dieses Jahr gemeinsam in ihrer 10. Saison auf der Deckstation in Gohl. «Obwohl er temperamentvoll ist,

respektiert er mich.»

Nur wenn es um das Decken einer Stute gehe, werde er wild und die Emotionen kochten hoch. Das sei nicht bei allen Hengsten so, einige seien eher faul. Aktuell stehen vier Hengste auf der Station. Während der vier Monate werden sie alle von Jean-Philippe ChÊne betreut. 

50 Prozent Fremdblut

«Ich schätze Népal sehr. Er ist zwar bei einer Stute zappelig, aber er hat mich noch nie überrannt oder verletzt», beschreibt Jean-Philippe ChÊne sein Verhältnis zu Népal. Stolz kann der Hengst auf 697 Nachkommen blicken, die alle entweder in der Klasse A (ausgezeichnete Qualität aufgrund der Nachzucht) oder Klasse B (überdurchschnittliche Qualität und Eignung) eingetragen sind. Népal selber erfüllt aufgrund seiner Fohlen die Anforderungen der Klasse A. Seine Mutter war eine reine Freibergerstute und der Vater ein Warmblut. «Er hat somit einen Fremdblutanteil von 50 Prozent, was ihn sehr sportlich macht.» Elf seiner Söhne befänden sich in der Nachzucht, was ausnehmend viel sei. Dass ein Hengst in diesem Alter noch im Einsatz ist, sei ungewöhnlich. «Es ist die Entscheidung der Zuchtgenossenschaft zusammen mit dem SNG, wie lange Népal noch aktiv ist. Hier in der Region hat er bereits sehr viele Nachkommen», sagt Jean-Philippe ChÊne. Ziel des Nationalgestüts sei es, mehrere Linien zu führen und so einer Inzucht vorzubeugen. Darum sorgt jedes Jahr ein neuer Hengst in Gohl für frisches Blut.

«Allerdings war die Nachfrage nach Népal immer da.» Die Gründe für die ungebrochene Beliebtheit lägen auf der Hand: Die Vererbung der Gänge und seine Fohlen seien gut im Sport. Seine Tochter Nina hat 2012 die Auszeichnung Elitestute gewonnen. Zweimal hat sie sich im Final Promotion CH Fahren jeweils im 2. Rang klassiert; einmal 2012 und dann 2014. Damit ein Pferd am National FM starten kann, ist eine Qualifikation nötig. 

Erholung in Avenches

Deckte der Hengst bis vor wenigen Jahren pro Saison noch über 40 Stuten, waren es im vergangenen Jahr noch 19. «Das hat mit der etwas höheren Decktaxe und natürlich auch mit seinem Alter zu tun», erklärt ChÊne. Nach den vier Monaten in Gohl kehrt Népal mit seinem Betreuer zurück nach Avenches. «Er kann sich erholen und regenerieren. Geritten wird er nicht mehr», beschreibt Jean-Philippe ChÊne den Alltag des Pferdes. Er hat festgestellt, dass der Hengst, kaum auf der Hengststation angekommen, eine Veränderung durchmacht: «Er wirkt viel jünger als im Gestüt; er ist sogar aktiver als die anderen, erst vierjährigen Hengste.»

Dass Népal ein lebhaftes Pferd ist, erfuhr sein Pfleger bereits vor einigen Jahren. Gemeinsam sass er mit dem Hufschmied am Tisch, als sie ein Geklapper hörten. «Wir sprangen auf und sahen mit Schrecken, dass Népal nicht mehr am Anbindeplatz stand. Der Bengel hatte sich selber losgebunden und war schon mal runter zum Deckplatz getrabt», erzählt ChÊne. Er konnte den Ausbrecher einfangen, bevor er den Stuten einen Besuch abstattete. 

Nachwuchs mit Potenzial

Auch sonst hat das Tier seine Eigenheiten und Vorlieben. Zum Beispiel gefallen ihm die Stuten, die acht bis zehn Tage nach der Geburt wieder rössig sind, nicht so gut. «Offenbar riechen für ihn Damen in der monatlichen Rosse besser.» Zum Decken bindet Jean-Philippe ChÊne die Stuten an.Die Hinterbeine werden mit Schlaufgurten gesichert, damit sie nicht nach dem Hengst ausschlagen und diesen verletzen. «Meistens sind die Hengste vorsichtig und benehmen sich. Die Gefahr geht viel mehr von den Stuten aus», hat der Pferdekenner festgestellt. Vorallem wenn diese noch ein Fohlen haben, kann es rasch gefährlich werden. Sie geraten in Panik, wenn sie ihren Nachwuchs nicht sehen. «Népal ist mit seinem Alterein Profi und nimmt sich in Acht.» Auf die Frage, wer dem 25-jährigen Pferd künftig den Rang ablaufen könnte, meint ChÊne: «Alle seine Nachkommen haben das Potenzial dazu!» Wie wenn er verstanden hätte, wirft der Hengst den Kopf herum, um einer Stute nachzuwiehern.



Vom schweren Arbeitspferd zum modernen Sportler
Vor über 200 Jahren entstand die Freibergerzucht im Jura. Lange Zeit war das Freibergerpferd ein geschätztes Arbeits- und Zugpferd. Während der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege wurden von der französischen Armee alle brauchbaren Pferde beschlagnahmt; auch in der Schweiz. Der Hauptabnehmer Frankreich setzte 1840 bis 1850 immer mehr Militärpferde aus eigenen Zuchten ein, so dass die Zucht des Freibergers stark einbrach. 

Auffrischung mit Fremdblut Um diesem Trend entgegenzuwirken, wurde 1901 das Nationalgestüt in Avenches eröffnet. Während des Ersten Weltkriegs war der Freiberger beliebt in der Schweizer Armee. Auch im Zweiten Weltkrieg war er gefragt im Militär und als Arbeitspferd auf dem Feld. Mit der Motorisierung in der Landwirtschaft verlor der Freiberger an Bedeutung und auch das Militär benötigte weniger Tiere. Der Trend ging weg vom schweren Arbeitspferd. «Der Markt hatte sich verändert und verlangte nach einem sportlicheren Typ. Dies erreichte man vor rund 30 Jahren mit einer Blutauffrischung», erklärt Jean-Philippe Chêne. Es wurden Anglo Araber, französisches und schwedisches Warmblut eingekreuzt. Népal ist einer der letzten dieser ersten Einkreuzungen. «Heute ist der Freiberger ein modernes und vielseitiges Freizeitpferd, welches sich auch im Fahrsport bewährt.»  Das Thema, ob man erneut Fremdblut in die Freibergerzucht einbringen will, wird aktuell wieder diskutiert.
13.04.2017 :: Veruschka Jonutis (vjo)