Mit Alpromantik ist es nicht getan

Emmental/Entlebuch: Auf den Alpen fehlt es an Personal. Lässt sich niemand finden, müssen die Bauernfamilien selber schauen, wie sie sich organisieren können. Gefragt sind dann unkonventionelle Lösungen, wie das Beispiel der Familie Hirschi aus Schangnau zeigt.

Der Weg führt nicht nur steil bergan, sondern im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein, durch Löcher und Gräben. Ein ungeübter Fahrer muss schon hier, bei der Anfahrt zur Alp Luterschwändi, das Handtuch werfen. Wers bis oben schafft (oder sich chauffieren lässt), wird mit wunderbarer Aussicht über das Emmental und Entlebuch belohnt. Die Alphütte wird überragt vom Hohgant, vis-à-vis grüsst die Schrattenfluh. Gegen Wes-ten öffnet sich der Blick Richtung Jura. Romantik pur, oder doch nicht? «Ja, es ist schön hier oben – jedenfalls, wenn es nicht regnet oder Nebel hat», sagt Christine Hirschi. Der Alltag wird aber vielmehr von harter Arbeit denn schöner Aussicht geprägt.



Erfolglose Suche

Seit dem 5. Juni wohnt Christine Hirschi mit ihrem 15 Monate alten Sohn Iwan hier oben auf 1400 Meter über Meer. Gesellschaft leisten ihr 24 Kühe, 17 Kälbchen und 14 Ziegen. Abends kommt der Lehrling vom Talbetrieb und hilft beim Melken und Versorgen der Tiere. Am anderen Morgen fährt er wieder hinunter. Ehemann Bruno Hirschi betreibt in Schangnau eine Garage und zusammen mit seinem Bruder den Landwirtschaftsbetrieb namens Weggli. Er wird seine Familie in diesem Sommer nicht sehr oft sehen. Diese Lösung entspricht nicht dem Wunsch von Hirschis, doch schlussendlich blieb nichts anderes übrig. «Wir haben jemanden gesucht, der die Milchverarbeitung und die Verantwortung über die Tiere übernehmen könnte, leider ohne Erfolg», erzählt Bruno Hirschi. Im letzten Jahr hatten sie mehr Glück gehabt, dann fanden sie einen Angestellten aus Deutschland. Auch in diesem Jahr meldeten sich auf die Ausschreibung im Internet viele Leute. Die Gründe, weshalb es zu keiner Einigung kam, sind vielfältig. «Viele wollten als Paar kommen, was für uns finanziell nicht tragbar gewesen wäre. Andere hatten keine Erfahrung oder wollten nicht die ganze Verantwortung alleine tragen», nennt Christine Hirschi einige Gründe. Auch der Lohn und die fehlende Freizeit seien bei Absagen als Gründe genannt worden. So entschied sich die Bäuerin, die Sache selbst an die Hand zu nehmen.



Der Morgen gehört dem Käse

Neu ist die Arbeit für sie nicht, seit 2003 gehen Hirschis z`Alp auf Luterschwändi. Dieses Jahr ist aber erstmals Sohn Iwan dabei. «Das hat schon einiges verändert», sagt Christine Hirschi. Weniger dringende Arbeiten wie zum Beispiel Unkraut bekämpfen oder Steine aus den Weiden entfernen, würden diesen Sommer wohl eher liegen bleiben. Vieles aber muss sein; melken, die Tiere versorgen, käsen. Iwan muss sich dem Rhythmus auf der Alp anpassen und morgens halt in seinem Bettchen warten, bis Mama aus dem Stall kommt. Und während sie von 8 bis 12 Uhr am Käsen ist, beschäftigt er sich selber. «Bis jetzt hat er das sehr gut gemacht», lobt Christine Hirschi. Gerade beim Käsen muss sie schnell und sauber arbeiten können. Alles andere würde sich negativ auf die Qualität auswirken. Das hätte spätestens beim Verkauf des Alpkäses im Herbst Folgen. Bis vier Tonnen wird die 31-jährige Sennerin diesen Sommer produzieren; der grösste Teil davon geht an private Kundschaft.



Mit vereinten Kräften geht es

Obwohl die Arbeit auf der Alp hart und intensiv ist – 15-Stunden-Tage an sieben Tagen die Woche sind die Regel – mag sich Christine Hirschi nicht beklagen. «Ich trage gerne Verantwortung und liebe die Arbeit hier oben.» Dank der Mithilfe des Lehrlings und der Schwägerin, die Einkäufe bringt, die Wäsche erledigt und den Käse im Tal pflegt, sei es zu machen. Auch die Familie Bigler, mit der eine Alpgemeinschaft bestehe, übernehme viele Arbeiten, so etwa bei der Alpvorbereitung, beim Einwintern sowie in Notfällen. Bruno Hirschi blickt dem Sommer zuversichtlich entgegen. «Mit vereinten Kräften und der richtigen Einstellung ist vieles zu schaffen.» Trotzdem hoffen Hirschis, im nächsten Jahr jemanden zu finden, der auf Luterschwändi mit anpackt.



Die Chemie muss stimmen

«Vor zehn, zwanzig Jahren suchten noch deutlichmehr Leute eine Alpstelle, als es Angebote hatte. Heute ist die Auswahl nicht mehr gross», sagt Barbara Sulzer von der IG-Alp. Das habe auch mit dem Arbeitsmarkt zu tun. In wirtschaftlich schlechteren Zeiten sei es für Angestellte schwierig, ihre Stelle für zwei, drei Monate zu verlassen. Dazu komme, dass immer weniger Leute einen Bezug zur Landwirtschaft hätten. Bei den Bauernfamilien nehme die Arbeitsbelastung stetig zu. «Früher waren die Familien grösser und ein lediger Onkel oder die älteren Söhne konnten die Alp führen. Das fehlt heute.» Zudem müssten viele Landwirte einem Nebenerwerb nachgehen, den sie im Sommer nicht einfach aufgeben könnten.

Im Sommer 2009 meldeten sich über 100 Alpen mit Personalproblemen bei der IG-Alp. Nur in 50 Fällen konnte Personal vermittelt werden. Die häufigsten Gründe, weshalb ein Engagement scheitere, lägen im Zwischenmenschlichen, erklärt Barbara Sulzer. «Wenn die Chemie nicht stimmt, ist nichts zu machen.» Auf der Alp könne man einander nicht ausweichen. Zudem sei die körperliche Belastung und die Verantwortung sehr gross. «Das verkraften nicht alle.»



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24.06.2010 :: Silvia Wullschläger (sws)