Was kochst du heute? Wie ist das Wetter? Was gibt's Neues? Jeden Tag unterhielt ich mich mit meiner Schwester online. Ich wusste, dass sie seit dem Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren Schwierigkeiten hatte, ihre Wohnung zu managen. Sie hatte ihren Halt verloren. In die Wohnung liess sie niemanden mehr. Wenn ich sie sehen wollte, trafen wir uns in der Konditorei. Selten, denn ihr Heimatort liegt sieben Zug-Stunden entfernt. Zweimal besuchte sie auf meinen Rat eine Psychologin. Mir erzählte sie, dass sie jede Woche hingehe. «Was macht deine Bude?», fragte ich. Sie antwortete jedes Mal: «Ich räume auf - Stück für Stück.» Immer wieder schwärmte sie davon, was sie Feines gekocht hätte. Es ginge ihr gut, sie würde jeden Tag spazieren gehen. Mitte Oktober plante ich eine Reise zu ihrem 79. Geburtstag. Ich fragte, ob ich bei ihr übernachten könne, doch wie immer wehrte sie ab. Sie habe kein Bett frei und schlafe selbst auf dem Sofa. Dazu kam es nicht mehr. Ende September kam der Anruf, meine Schwester sei gestorben: «Zwei Nachbarinnen haben sie in ihrer Wohnung gefunden.» Umgehend fuhr ich nach Deutschland, um meine Familie zu treffen. Wir waren auch in der Wohnung der Verstorbenen. Beim Gedanken daran könnte ich immer noch heulen. Als wir die Tür öffneten, schlug uns ein süsslich-gammeliger Geruch entgegen. Dann sahen wir das ganze Elend. Mannshoch türmten sich in jedem Zimmer Säcke mit sortiertem Verpackungsmüll, Kartons, Teppiche originalverpackt usw. In der schimmelnden Küche hatte schon lange niemand mehr gekocht. Meine Schwester hatte wirklich auf dem Sofa geschlafen - mitten im Chaos. Vermutlich liegt ihnen das Wort Messie auf der Zunge. Doch bei diesem Krankheitsbild sammeln Menschen exzessiv Dinge. Meine Schwester hatte ihre Haushaltsstruktur verloren. Den nassen Restmüll, wie es in Deutschland heisst, hat sie entsorgt. Für alles andere fehlten Motivation und Kraft. Als Teenager war ich gerne bei meiner Schwester zu Gast, weil alles so gepflegt war. Hin und wieder steckte sie mir einen kleinen Schein zu. Immer wieder schenkte sie mir ein schönes Shirt. Was hätte ich tun können? Nun nagt diese Frage an mir. Was kann ich lernen aus dieser Tragödie? Achtsamer sein? Auch mal Grenzen überschreiten, mir Einlass verschaffen, wenn ich einen Verdacht habe? Sie hätte Hilfe gebraucht, stattdessen haben wir uns vormachen lassen, dass alles super sei. Letzte Woche haben wir meine Schwester begraben. Ich hoffe, sie hat es schön - da, wo sie jetzt ist.