Vier Evangelisten, vier Symbole

Vier Evangelisten, vier Symbole
Eines der Vorbilder? Im Portal der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Kathedrale von Chartres sind die Symbole der Evangelisten um Jesus angeordnet. / Bild: zvg
Langnau: Beim Eingang des Kirchgemeindehauses ist ein Wandbild zu sehen, das für die vier Evangelisten steht. Was bedeuten die Symbole und wer war der Schöpfer dieses Wandschmucks?

Die Figuren erzählen

Der Töpfer Jakob Stucki (Kasten) hat das Wandbild 1970 für das neue Kirchgemeindehaus geschaffen. Die Figuren treten reliefartig aus der Platte hervor und tragen die Farbe des gebrannten Tons, während der Rest der Platte weiss glasiert ist. Das Kleid des Engels, die Mähne des Löwen, das Fell des Stiers und die Flügel des Adlers hat der Künstler mit geritzten Mustern raffiniert gestaltet. Jede Figur scheint etwas zu erzählen. So zeigt der Engel mit einer Hand entschieden in eine Richtung, der Löwe hebt eine Tatze in die Luft, der Stier steht unbeweglich da, als möchte er sich streicheln lassen, und der Adler besitzt ein merkwürdiges Zeichen am Kopf, das man als «Auge Gottes» deuten könnte.


Die Ursprünge der Symbole

Jakob Stucki hat sich bei seinem Wandbild alter Symbole bedient, die nicht nur im Christentum, sondern schon bereits viel früher im alten Babylon (1800 v. Chr.) eine zentrale Rolle spielten. Dort, im heutigen Irak, wo man hohe Türme baute, um die Sterne besser beobachten zu können, stellten Mensch, Löwe, Stier und Adler wichtige Sternzeichen und Gottheiten dar. 600 v. Chr. gerieten die Juden in babylonische Gefangenschaft. Fern der Heimat hatte Ezechiel, ein jüdischer Prophet, eines Nachts eine Vision. Er sah vier gefiederte, menschenähnliche Geschöpfe, die alle ein Menschengesicht, ein Löwengesicht, ein Stiergesicht und ein Adlergesicht besassen. Bei jedem Wesen blickte das Menschengesicht nach vorne, das Löwengesicht nach rechts, das Stiergesicht nach links und das Adlergesicht nach hinten (Ezechiel 1, 4 – 10). Später hatte auch Johannes, einer der vier Evangelisten, eine ähnliche Vision. Er sah einen Thron und darum herum die vier Wesen (Offenbarung 6, 6?–?8). Als sich das Christentum ab dem 4. Jahrhundert im Römischen Reich etablierte, begannen die Kirchenväter, aus den vielen Schriften, die es gab, bestimmte Bücher für das Neue Testament auszuwählen. In den «Viergesichtern», die Ezechiel in seiner Vision beschrieben hatte, sahen sie die Evangelisten, die aus vier verschiedenen Perspektiven das Leben Christi beleuchteten.


Die Zuordnung des Hieronymus´

Kirchenvater Hieronymus schliesslich ordnete die vier Symbole den einzelnen Evangelisten zu. In den Anfangszeilen der vier Evangelien fand er Anhaltspunkte, die er mit den Symbolen verknüpfte. Markus gab er den L?wen, weil in diesem Evangelium zu Beginn von einer Stimme in der Wüste die Rede ist (Markus 1, 3). Lukas teilte er den Stier zu aufgrund einer Opferszene im Tempel am Anfang (Lukas 1, 9). Matthäus bedachte er mit dem Menschen wegen des Stammbaums, den der Evangelist zu Beginn aufzählt (Matthäus 1, 2 – 16). Und Johannes schenkte Hieronymus den Adler wegen der tiefgründigen Zeilen, die am Anfang seines Evangeliums stehen (Johannes, 1, 1). Vom alten Babylon über das Judentum haben die Symbole also Eingang ins Christentum gefunden. Unzählige Maler, Bildhauer, Kalligraphen haben sich in der Folge mit der Darstellung der Evangelistensymbole beschäftigt. Oft rahmen sie Christus ein wie beim Eingangsportal der Kathedrale von Chartres, die aus dem 12. Jahrhundert stammt.


Die Botschaften Stuckis

Jakob Stuckis Evangelistensymbole sind 800 Jahre später entstanden. Der Künstler gruppiert die vier Figuren auf eine ungewöhnliche Art. Horizontal auf der gleichen Höhe reiht er die drei Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas ein, während er Johannes in die Mitte auf die untere Reihe setzt. Wollte der Töpfer damit etwas zeigen? Wusste er, dass das Johannes-Evangelium innerhalb der vier Evangelien inhaltlich wie sprachlich etwas aus der Reihe tanzt? 1970 gehört Jakob Stucki zu den gefragtesten Töpfern der Schweiz. Entsprechend selbstbewusst hat er seine Signatur auf die Platte des Adlers gesetzt: «J Stucki Töpfer Langnau 1970».

International bekannt

Mit Jakob Stucki (1920 – 1982) war ein international bekannter Töpfer in Langnau am Werk. Seine Plastiken sowie seine farbige Engobenmalerei auf Platten, Tellern und Kacheln machten ihn berühmt. Stucki war jedoch nicht der einzige grosse Töpfer im Dorf. Zweihundert Jahre vor ihm lebte mit Daniel Herrmann (1736 – 1798) ein zweiter hervorragender Hafner in Langnau. Beide sorgten mit ihrem Können und ihrem Einfallsreichtum für Aufsehen und machten aus Langnau eine Keramik-Hochburg. An diese Tatsache knüpft eine Ausstellung, die Ende April im Regionalmuseum Chüechlihus stattfindet. Mitglieder des Keramik-Forums Bern treten in den Ausstellungsräumen mit den Objekten in

einen Dialog. Am ersten Wochenende der Ausstellung findet zudem ein Keramik-Markt auf dem Viehmarktplatz statt.

28.03.2024 :: Bettina Haldemann-Bürgi (bhl)