Welches Risiko hätten’s gern? Diese Frage stellt sich bei der Chise

Welches Risiko hätten’s gern? Diese Frage stellt sich bei der Chise
Ruhig fliesst die Chise dahin – weniger ruhig verlief in den letzten Jahren die Planung für deren Verbauung. / Bild: Bruno Zürcher (zue)
Kiesental: Der Kanton startet einen neuen Anlauf für den langersehnten Wasserbauplan Hünigenmoos. Alle Beteiligten können mitbestimmen, welche Risiken für sie akzeptabel sind.

«Reise zum akzeptierten Risiko» – was wie der Name eines Gesellschaftsspiels klingt, ist ein neues Vorgehen, das angewendet wird, um bei Naturgefahren mit allen Involvierten eine gemeinsame Lösung zu finden. Die Anleitung dazu stammt vom Bundesamt für Umwelt. «Im Kanton Bern wird dieses Vorgehen erst zum zweiten Mal angewendet», sagt Adrian Fahrni vom kantonalen Tiefbauamt.


Gemeinsame Grenze definieren

Nachdem trotz langer Planung kein Hochwasserschutzprojekt für das Hünigenmoos zustande kam (siehe Kasten), bricht das kantonale Tiefbauamt gemeinsam mit dem Wasserbauverband Chisebach nun zu dieser Reise auf. «Die Bedenken und Wünsche der anderen zu hören, sorgt sicher für mehr Verständnis», sagt Fahrni. Im ersten Workshop im Januar verschafften sich die Teilnehmer einen Überblick. Diese Woche fand der zweite Workshop statt. «Es geht darum, gemeinsame Grenzen zu definieren», sagt der Projektleiter. «Wie schlimm ist es, wenn alle zehn Jahre der Keller geflutet wird? Macht es etwas, wenn das Wasser über Tage in einem Acker steht und nicht abfliesst?» Weitere Workshops werden folgen. Das Ziel lautet, sich auf Hochwasserschutzmassnahmen einigen zu können, um das Risiko auf ein akzeptables Mass zu reduzieren. Möglich wäre demnach, dass fast nichts gebaut würde, wenn alle Beteiligten bereit sind, ein sehr grosses Risiko zu tragen – aber auch, dass das Risiko möglichst reduziert werden soll. Dass das Interesse an dieser Frage gross ist, zeigte sich am Aufmarsch zum ersten Workshop im Januar. Gegen 40 Anwohner, Landwirte und Vertreter von Infrastruktur (beispielsweise Liegenschaften, Strassen oder Leitungen) nahmen daran teil. Mit dabei war auch Ueli Engel. Der Landwirt ist Präsident der Flurgenossenschaft Konolfingen-Niederhünigen, welche das erste Projekt bekämpft hat. Er begrüsst, dass ein neuer Anlauf für den Verbau genommen werde. «Wenn die Chise über die Ufer geht, sind heute vor allem die Landwirte die Leidtragenden», sagt Engel. Er muss es wissen: Sein Grundstück liegt unmittelbar an der Stelle, wo die Chise jeweils als erstes überschwappt. «Im vergangenen Jahr war das Gras so stark mit Sand und Unrat verschmutzt, dass wir das Emd nicht den Kühen verfüttern konnten, sondern dieses entsorgen mussten. Eine Entschädigung erhalte ich nicht», nennt der Landwirt ein Beispiel. Er plädiert für einfache und kostengünstige Massnahmen.


Gemeinsame Lösung finden

Peter Schmid ist seit einem Jahr Präsident des Wasserbauverbands Chisebach. Er sei zuversichtlich, dass mit dem neuen Vorgehen eine realisierbare Lösung gefunden werden könne. «Am Ende geht es darum zu bestimmen, welche Wassermenge der Bach bewältigen können soll.» Diesbezüglich herrscht nun mehr Klarheit, weil andere Abschnitte der Chise bereits verbaut sind – oder bald werden. Kernstück des Abschnitts vor dem Hünigenmoos ist ein Damm im Groggenmoos, der die Abflussmenge der Chise begrenzt. Seit dieser in Betrieb sei, habe sich dort jedes Jahr Wasser gestaut, wenn auch nie extrem viel, weiss Adrian Fahrni. Dank des Damms ist nun genauer vorhersehbar, wie viel Wasser nach heftigen Niederschlägen Richtung Hünigenmoos fliesst. Und nun ist auch bestimmt, wie viel Wasser der Lauf der Chise durch das Dorf Konolfingen wird schlucken können. Kritiker des ursprünglichen Hünigenmoos-Projekts hatten stets gefordert, dass zunächst geschaut werden solle, wie stark der Abfluss durchs Dorf verbessert werden könne. 

Der Wasserbauplan Konolfingen ist soweit fortgeschritten, dass alle Einsprachen bereinigt werden konnten, und der  Kanton den Plan demnächst genehmigen kann. Während heute maximal 7 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durchs Dorf fliessen können, sollen es nach dem Ausbau bis zu 13 Kubikmeter sein. Wann starten die Bauarbeiten? «Wenn alles gut läuft im Winter 2025/26», sagt Peter Schmid.

Hochwasserschutz: Seit 17 Jahren wird geplant

Auch wenn die Chise im Hünigenmoos meist träge fliesst, ist schon viel Wasser talwärts geflossen, seit an einem Wasserbauplan für dieses Gebiet gearbeitet wird. 2007 hat der Wasserbauverband Chisebach, welchem zehn Gemeinden angehören, mit der Planung gestartet. Das Projekt sah damals vor, die Chise vom Rand in die Mitte des Hünigenmoos´ zu verlegen und ein oder zwei Dämme zu bauen, die das Wasser bei heftigen Niederschlägen zurückgehalten hätten. Die Kosten dieses Vorhabens hätten laut den Planern mehr als 30 Millionen Franken betragen. Gegen dieses Projekt regte sich heftiger Widerstand. 2017 gab das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführern recht. Knackpunkte des Rechtsstreits waren das Stauanlagengesetz und die fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung. Der Wasserbauverband versuchte dann noch das Projekt zu überarbeiten, ehe er entschied, dieses zu sistieren.

21.03.2024 :: Bruno Zürcher (zue)