Immer weniger Samariterinnen: Wer übernimmt deren Aufgaben?

Immer weniger Samariterinnen: Wer übernimmt deren Aufgaben?
Postendienst an Veranstaltungen ist eine von mehreren Aufgaben der Samariter-Vereine. / Bild: zvg
Kanton Bern: Bald wird es die Samaritervereine Linden und Biglen nicht mehr geben. Doch was passiert, wenn der Trend anhält und die Samariter ganz verschwinden?

«An der Hauptversammlung des Samaritervereins Biglen im Januar haben wir beschlossen, den Verein per Ende 2024 aufzulösen», ist im aktuellen Gemeinde-Infoheft «Biglebach» zu lesen. Kein Einzelfall: Auch den Samariterverein Linden gibt es nur noch bis Ende Juni, wie dessen Präsidentin gegenüber der «Wochen-Zeitung» bestätigt: «Nur wenige von uns wollten weitermachen.» Einer der Gründe für die Auflösung sei das re­lativ hohe Durchschnittsalter der Mitglieder. Viele seien bereits pensioniert oder kurz davor. Andere hätten nebst Familie und Beruf zu wenig Zeit. Auch die Anforderungen an Aus- und Weiterbildung seien gestiegen und die Vorschriften strenger geworden. Hört man sich in Samariterkreisen um, sind noch weitere Argumente zu vernehmen. An Gross- oder Sportveranstaltungen fühlten sich etwa einige Samariter von medizinischen Fachpersonen externer Firmen nicht immer ernst genommen.


An Anlässen gefragt

Plus Medical Service GmbH mit Sitz in Noflen ist eine der spezialisierten Dienstleistungs-Firmen, die ihr medizinisch ausgebildetes Fachpersonal an Anlässen einsetzt. Auf Wunsch erstellt sie zudem ganze Sanitätskonzepte. Geschäftsführer Thomas Meier ist selbst ausgebildeter Rettungssanitäter. «Die Grundidee unserer Firma ist es, die Samariter zu unterstützen, nicht sie zu konkurrieren», sagt er auf Anfrage. Er arbeite jeweils eng mit ortsansässigen Samaritervereinen zusammen. An Anlässen seien oft Zweierteams unterwegs, bestehend aus einer medizinisch ausgebildeten Fachperson und einem Samariter. Das funktioniere meistens sehr gut. «Ich wüsste nicht, was wir ohne die Samariter machen würden», meint Thomas Meier. «Wir müssten unser Konzept ganz neu ausrichten.»

Auch der Verein Schwingfeste 2024 Burgdorf, der sowohl das Emmentalische, das Oberaargauische wie auch das Bernisch-Kantonale Schwingfest organisiert, setzt auf Laien und Professionelle gleichermassen. «In der Regel sind fünf Samariter sowie fünf medizinische Fachkräfte auf dem Gelände», erklärt die Kommunikationsverantwortliche Mirjam Kalbermatten. «Die Samariter kümmern sich unter anderem um leichtere Vorfälle wie Insektenstiche oder Schnittverletzungen.» Ohne diese Helfer würden sich die Kosten erhöhen, da die Organisatoren vermehrt auf die teureren medizinischen Dienstleister ausweichen müssten. Die Schwingfeste selbst wären dadurch jedoch nicht in Gefahr. Wie sieht es bei den Anlässen mit kleinerem Budget aus? Kein Problem für die Sicherheitsbeauftragte vom «Stäcketöri Freiluft»-Festival in Zäziwil: «Mein Vater ist Rettungssanitäter», sagt Leonie Baumgartner. Deshalb werde er mit einer oder zwei weiteren Personen und sogar einem Rettungswagen vor Ort sein. Das sei mehr, als eigentlich nötig wäre aufgrund ihrer Erfahrung vom letzten Jahr.


Blutspendeverein statt Samariter

Wer mit dem Auto unterwegs ist, hat irgendwann mal einen Nothelferkurs absolviert und dies vermutlich beim örtlichen Samariterverein. Samariter geben nicht nur Kurse, sondern organisieren beispielsweise auch Blutspendeaktionen. «Fast zwei Drittel der mobilen Blutspendeaktionen werden durch diese Vereine unterstützt», schreibt die Medienverantwortliche der Blutspende SRK Schweiz AG auf Anfrage. Freiwillige Helferinnen seien deshalb sehr wichtig. Ohne sie wären die Planung schwieriger sowie Aufwand und Kosten höher. In Gemeinden, wo sich die Sama­ritervereine auflösten, übernehmen deren Arbeit manchmal Freiwillige oder sogar andere Vereine. Aktuelles Beispiel ist Linden: Hier wird bald ein neuer Blutspendeverein zu diesem Zweck gegründet werden. Wie es in Biglen bezüglich Blutspendeaktion weitergeht, ist noch in Abklärung. Die restlichen Aufgaben des alten Samaritervereins übernehmen die Vereine Walkringen und Oberes Kiesental.


Vereine melden sich oft zu spät

Was sagt der Kantonale Samariterverband zum Mitgliederschwund? «Es ist der Zeitgeist und das Überangebot an Freizeitaktivitäten», sagt Präsidentin Doris Wolf. Anderen Organisationen gehe es ja auch so. Leider würden sich die Verantwortlichen der Vereine häufig erst beim Verband melden, wenn die Auflösung bereits beschlossene Sache sei, bedauert Doris Wolf. «Samariter Schweiz» organisiere nämlich Kurse, bei denen es genau um dieses Thema gehe. Die zeitlichen Anforderungen an Vereinsmitglieder und Kader seien nicht höher als früher, sondern gleich geblieben. Man müsse einfach am Ball bleiben, Weiterbildungen besuchen und seine Vereinsmitglieder immer nach den neusten Erkenntnissen schulen und ausbilden. «Oder möchten sie einen Kurs besuchen, der nicht gut geführt und nicht nach den neusten Richtlinien abgehalten wird?», fragt Doris Wolf rhetorisch.


Zuversichtliche Präsidentin

Die Präsidentin des Samariterverbands Kanton Bern stört sich an den negativen Schlagzeilen rund um die Auflösung von Samaritervereinen. Sie hebt das Positive hervor:  Gemäss Statistik gab es im Kanton Bern im Jahr 2022 immerhin noch 2162 Mitglieder. Als solches profitiere man in vielerlei Hinsicht: Man kennt sich in Erster Hilfe aus, lebt das Gesellige, lernt neue Menschen kennen und vertieft sein Wissen beim Postendienst, zählt Doris Wolf auf. «Zudem kann man sich weiterbilden lassen bis hin zum Instruktor oder Vereinscoach.» Was geschieht denn, wenn es tatsächlich eines Tages keine Sama­ritervereine mehr gibt? Die Antwort der Präsidentin kommt knapp und überzeugt: «Das wird es nie geben!»

18.04.2024 :: Rebekka Schüpbach (srz)