«Unser Ziel ist es, die Arbeitszeit unter 50 Stunden zu bringen»

«Unser Ziel ist es, die Arbeitszeit unter 50 Stunden zu bringen»
Der Gemüseanbau ist der zweitwichtigste Betriebszweig der Schweizer Landwirtschaft. Ohne Angestellte geht es nicht. / Bild: zvg
Kanton Bern: Angestellte in der Landwirtschaft arbeiten oft weit über 50 Stunden pro Woche zu einem vergleichsweise tiefen Lohn. Daran etwas zu ändern, ist nicht einfach.

Die Arbeitsbedingungen für land­wirtschaftliche Angestellte lassen einer Gewerkschaftsvertreterin wahrscheinlich die Haare zu Berge stehen: Mindestlohn: 3420 Franken (für Ungelernte ohne Erfahrung); wöchentliche Arbeitszeit: 55 Stunden (Kanton Bern); Ferien: 4 Wochen. «Wir arbeiten in einer Branche mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen und den tiefsten Löhnen», sagt denn auch Hannes Seiler. Er ist Präsident des Bernischen Verbandes landwirtschaftlicher Angestellter. Derzeit werde der kantonale Normalarbeitsvertrag (NAV) revidiert, sagt Seiler, der seit 30 Jahren auf einem Betrieb in Rosshäusern angestellt ist. Das Hauptziel sei es, die Arbeitszeit unter 50 Stunden zu bringen, wie das etwa im Kanton St. Gallen der Fall sei. Im Kanton Luzern wurde dieses Ziel bei der Revision des NAV verpasst. Die wöchentliche Arbeitszeit ist dort per 1. Januar 2023 zwar um drei Stunden reduziert worden, liegt aber immer noch bei 52 Stunden.


Übermacht der Arbeitgeber

Für die Löhne der landwirtschaftlichen Angestellten in der Schweiz gibt es Richtlinien. Vereinbart werden diese zwischen der Arbeitsgemeinschaft Berufsverbände Landwirtschaftlicher Angestellter (ABLA), dem Schweizerischen Bauernverband und dem schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband. Die Lohnverhandlungen fürs Jahr 2024 liefen für die Vertretung der Arbeitnehmenden enttäuschend. Die ABLA forderte eine Erhöhung von 2,5 Prozent sowie eine Zulage von 50 Franken für die steigenden Krankenkassenprämien. Resultiert hat schliesslich eine Lohnerhöhung von einem Prozent. «Einmal mehr war die ABLA der Übermacht der Arbeitgebervertretungen ausgesetzt», schrieb die
Geschäftsführerin Katrin Hürlimann-Steiner in einer Medienmitteilung. Die Argumente seien alle Jahre dieselben, ergänzt sie im Gespräch. Einmal sei es zu warm, dann zu kalt, es habe zu viel oder zu wenig geregnet. Und auch die steigenden Produktionskosten und die zu geringen Erlöse würden immer wieder vorgebracht. «All dies mag ja stimmen, doch der Angestellte kann nichts dafür, wenn die Ernte schlecht ausfällt. Das gehört zum unternehmerischen Risiko des Landwirts.»


Zeit spielt für Angestellte

Die ABLA ist zwar die Vertreterin der Arbeitnehmenden in der Landwirtschaft, versteht sich aber nicht als Gewerkschaft. «Wir sehen auch die Seite der Landwirte, dass sie zu kämpfen haben», betont Katrin Hürlimann-Steiner. Viele würden gerne höhere Löhne bezahlen, doch liege es finanziell nicht drin. Dies sieht auch der Bauernverband so (siehe Artikel rechts). Deshalb fahre die ABLA nicht mit unrealistischen Forderungen ein. Trotzdem glaubt Hürlimann-Steiner, dass die Zeit für die Angestellten spielt. Denn auch in der Landwirtschaft herrscht Fachkräftemangel. «Das bedeutet je länger je mehr, dass nur noch die Betriebe Leute finden, die mehr bezahlen und attraktivere Arbeitsbedingungen anbieten können», sagt die Geschäftsführerin. Es sei schon heute so, dass beispielsweise Gemüsebaubetriebe höhere Löhne als das Minimum entrichteten. Sie seien zwingend auf Arbeitskräfte angewiesen, sonst drohe die Ernte zu verfaulen. Es sei auch schwieriger geworden, das Personal im Ausland zu rekrutieren. «In Polen etwa läuft die Wirtschaft gut und die Leute kommen nicht mehr so einfach in die Schweiz», weiss Katrin Hürlimann-Steiner. Oder dann wechselten sie nach ein, zwei Jahre in eine Branche mit besseren Bedingungen. «Ob jemand 3500 oder 5000 Franken verdient und ob er 55 oder 42 Stunden arbeitet, macht halt schon einen grossen Unterschied.»


Gut Ausgebildete haben Alternativen

Die Zeiten haben sich geändert, auch was die Ausbildung der Angestellten betrifft. «Ungelernte Arbeitskräfte sind heute die Ausnahme», weiss Hannes Seiler, der nicht nur dem bernischen Verband vorsteht, sondern auch Vizepräsident der ABLA ist. Die meisten hätten eine Ausbildung als Landwirt oder in einem technischen Beruf wie Landmaschinenmechaniker, erklärt Seiler. Denn einfache Hilfsarbeiten gebe es auf einem modernen Bauernhof immer weniger. Weil die Leute gut ausgebildet sind, ist die Gefahr grösser, dass sie in andere Branchen abwandern. Die Motivation, sich stattdessen für bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft einzusetzen, sei gering, bedauert Seiler. So zähle der bernische Verband noch rund 50 Mitglieder und sei überaltert. Auch bei der ABLA sucht man Vorstandsmitglieder, «die gewillt sind, sich für die Anliegen der landwirtschaftlichen Angestellten einzusetzen und zu kämpfen».

Beschäftigte in der Landwirtschaft

In der Schweiz waren gemäss Bundesamt für Statistik im Jahr 2022 insgesamt 149´578 Personen in den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt (Voll- und Teilzeit). Davon stammten 37´531 Personen von ausserhalb der Familien. Weitaus mehr, nämlich 112´047 Personen, gehören zu den Familien.

04.04.2024 :: Silvia Wullschläger (sws)