Laminierte Sozialkontrolle

Es hat mich alles andere als überrascht, als ich nach einem kürzlichen Hundespaziergang mitten im sumpfigen Nirgendwo eine laminierte Zurechtweisung unter meinem Scheibenwischer vorgefunden habe. Dies sei Privatgrund und ganz sicher kein Parkplatz, teilte mir Unbekannt mit, Dreifachausrufezeichen!!! 

Wie oft hat man mich vor der sozialen Kontrolle gewarnt, als ich mich dazu entschied, von der Stadt in eine kleinere Ortschaft im Emmental zu ziehen. Zu Unrecht, wie ich betonen möchte, das permanente Beobachtetwerden ist überhaupt kein provinzielles Phänomen. Auch als ich in den Zentren von Biel oder Bern lebte, hatten die Wände Augen und Ohren und die Mitmenschen wenig Skrupel, mich ständig für Nichtigkeiten ausserhalb ihres Zu­ständigkeitsbereichs zu kritisieren.
Ich lüge nicht: Den Ritzen im Asphalt entstieg immer just dann ein selbsternannter Gesetzeshüter, wenn ich 2 Meter 10 anstatt der vorgeschriebenen 2 Meter neben dem Bahnhofsaschenbecher rauchte, mein Velo eine Pinkelpause zu lange vor dem Haus anstatt im Keller stehen liess, mit dem Kinderwagen Rolltreppe fuhr oder beim Entsorgen der Prosecco-Flaschen das grüne mal wieder nicht vom braunen Glas unterscheiden konnte. Auch in den Städten wurde geklingelt, gezettelt und gezetert was das Zeug hält, wenn am Waschtag eines Nachbarn noch ein paar fremde Handtücher an der Leine hingen oder die Schuhe meiner Kinder in eine feuerwehrtechnisch diffizile Treppenhauszone ragten. Im urbanen Umfeld ist es vermutlich einfacher, sich in Anonymität zu wähnen – doch meiner Erfahrung nach hat die Zivilgesellschaft auch da schon penibel darauf geachtet, dass ich mich zu einem ordentlichen, gesetzestreuen Menschen entwickle. Oder dramatischer ausgedrückt: dass ich mich in jeder noch so alltäglichen Situation wie eine kleinkriminelle Anarchistin fühle.

Dieser laminierte Erziehungsversuch nach dem Hundespaziergang hat mich also wie gesagt mässig erstaunt, hat man mit mir doch schon mehr als einmal via Scheibenwischer zu korrespondieren versucht. Im Gegensatz zu früheren Mitteilungen hat die neueste Notiz meine persönliche Situation allerdings gehörig ver­kompliziert. Denn anstatt zu einem
reuigen, gewissenhafteren Menschen geworden zu sein, stehe ich diesem wasserdichten Zusammenschiss sei Dank vermutlich kurz vor dem nächsten illegalen Akt. Oder kann mir bitte jemand sagen, wie man laminiertes Papier korrekt entsorgt? 

02.05.2024 :: Miriam Margani-Lenz (mml)