«Der einzige Kontakt mit den Behörden war ein Kontrollbesuch»

«Der einzige Kontakt mit den  Behörden war ein Kontrollbesuch»
Im Kanton Bern leben rund 60 Prozent der geflüchteten Personen aus der Ukraine bei Privatpersonen. / Bild: Jakob Hofstetter (jhk)
Kanton Bern: Gastfamilien von Geflüchteten aus der Ukraine fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen. Beim Kanton und dessen Partner ORS sieht man keinen Handlungsbedarf.

Dem Kanton Bern wurden bisher rund 7000 Geflüchtete aus der Ukraine zugewiesen (Stand 1. Juli). Davon ist die Mehrheit privat untergebracht (rund 4300 Personen). Eine dieser Gastfamilien hat sich an die «Wochen-Zeitung» gewendet, weil sie sich von den Behörden im Stich gelassen fühlt. Andere Familien schildern ähnliche Erfahrungen. Am 26. März hätten sie eine Wohnung in ihrem Haus einer sechsköpfigen Familie zur Verfügung gestellt, erzählt Hans W. (Name geändert). «Wir haben Freude an der jungen Familie», betont er. Doch es gebe auch viele offene Fragen, die wegen der Sprachschwierigkeiten nicht erörtert werden könnten. Die Übersetzungsapps reichten hierzu nicht aus. Ausserdem möchte Hans W. gerne wissen, wie es weitergeht. «Es braucht irgendwann eine Anschlusslösung.» Auch von der Entschädigung, die ihnen als Gastfamilie zusteht, hätten sie bisher nichts gesehen. «Wir zahlen die Kosten für Wasser, Strom und Abfall seit vier Monaten selber.»

 

Die hohle Hand machen

Von den Behörden erhielten sie null Unterstützung, bemängelt Hans W. Der einzige Kontakt sei kürzlich ein kurzer Kontrollbesuch gewesen. «Es fehlte die Zeit, um mit Hilfe der Dolmetscherin wichtige Fragen zu klären.» Die finanzielle Entschädigung müssten sie bei der zuständigen Regionalpartnerin des Kantons geltend machen, sei ihnen beschieden worden. Im Emmental ist dies die ORS Service AG. «Wir müssen also die hohle Hand machen für etwas, was uns zusteht», ärgert sich Hans W. Geld fliesse zudem erst, wenn sich die ukrainische Familie bei der ORS anmelde. Das klappe aber seit Wochen nicht. Die Ansprechperson sei weder per E-Mail noch per SMS oder Telefon erreichbar. «Der Kanton erhält vom Bund monatlich 1500 Franken pro Person. Ich frage mich, in wessen Taschen dieses Geld fliesst.»


Hotline für die Gastfamilien 

In einer gemeinsamen Antwort bestätigen die kantonale Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) sowie die ORS AG, dass Gastfamilien die Mietkostenentschädigungen beim regionalen Partner beantragen müssten – im Emmental wie erwähnt die ORS AG. Entrichtet würden 195 Franken pro Person und Monat für Schutzsuchende, die Asylsozialhilfe erhielten und mindestens seit drei Monaten bei einer Gastfamilie wohnten – dies dann rückwirkend. Für die Betreuung der Gastfamilien sei die ORS dagegen nicht beauftragt, hält Gundekar Giebel, Mediensprecher der GSI, fest. Dies sei auch nicht Aufgabe der Aufsichtsteams. Bei deren Besuchen stehe das Wohlergehen der Schutzsuchenden in der Gastfamilie im Vordergrund. «Dies wird bereits bei der Terminvereinbarung entsprechend kommuniziert», so Giebel. Die Gastfamilien würden jeweils auf die Hotline des Kantons hingewiesen (Telefon 031 636 98 80). Diese sei nur sehr schwach ausgelastet. «Für uns ist das ein Indiz, dass das Informations- und Betreuungsbedürfnis der Gastfamilien durch unsere Angebote grösstenteils zufriedengestellt wird.»


ORS «stark gefordert»

Was sagt die ORS zu den Klagen von Gastfamilien, dass die Kontaktpersonen nicht erreichbar seien? Durch den Ukraine-Krieg sei die ORS wie andere Flüchtlingsorganisationen stark gefordert. «Wir bedauern, dass es teilweise zu Informationsdefiziten gekommen ist.» Innert kürzester Zeit seien die Personalressourcen verstärkt worden. Was aber sollen Geflüchtete beziehungsweise Gastfamilien tun, wenn sie wochenlang die zuständige Person nicht erreichen? Ukraine-Flüchtlinge, die von der ORS in Burgdorf betreut würden, könnten sich «jederzeit an das anwesende ORS-Personal wenden». Und die GSI verweist auf die Hotline. Es würden alle Fragen aufgenommen und soweit möglich sofort beantwortet, andernfalls abgeklärt. So würden etwa auch Dolmetscherdienste vermittelt.

Die Globalpauschale des Bundes von monatlich 1500 Franken pro Person würden für die Krankenkasse, die Asylsozialhilfe, die Unterbringung und Betreuung verwendet, schreibt die GSI. Über die Ausgestaltung der Leistungsvereinbarung mit der ORS und anderen regionalen Partner werde keine Auskunft erteilt.

«Gastfamilien benötigen einen Ansprechpartner»

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) hat seit dem Syrienkrieg Erfahrung mit der Platzierung von Geflüchteten in Gastfamilien. Nun hat sie vom Bund denselben Auftrag für Ukrainerinnen und Ukrainer. In manchen Kantonen ist sie auch für die Betreuung von Gastfamilien verantwortlich, nicht so im Kanton Bern. Die professionelle Betreuung und Begleitung von Gastfamilien sei bei der Privatunterbringung ein zentraler Faktor, schreibt die SFH. Gastfamilien benötigten einen Ansprechpartner, der erreichbar sei und ihnen helfe. «Das freiwillige Engagement muss zudem eine Anerkennung finden.» Mit einer guten Begleitung könnten die Kontinuität der Gastverhältnisse gefördert werden, was auch die Behörden entlaste.

21.07.2022 :: Silvia Wullschläger (sws)