Schmuck anfertigen wie vor 140 Jahren

Schmuck anfertigen wie vor 140 Jahren
Konolfingen: Die Vollendung der Tracht ist ihr Schmuck. Vor dem grossen Fest in Langnau herrscht im Goldschmiede- und Filigranatelier Geissbühler in Konolfingen Hochbetrieb.

Ich bin jeden Tag mit Trachtenträgerinnen im Kontakt und bin immer wieder beeindruckt, wie die Frauen unsere Arbeit würdigen. Wenn an einem Trachtentreffen 600 Leute an einem Haufen in ihrer schmucken Tracht herumlaufen, berührt mich das sehr – ich kriege richtiggehend Gänsehaut.» Das sagt Marion Geissbühler. Sie führt das Goldschmiede- und Filigranatelier Geissbühler in Konolfingen. Vor gut vier Jahren hat sie das Geschäft von ihren Eltern Hans-Ulrich und Annemarie Geissbühler übernommen; diese arbeiten in einem reduzierten Pensum immer noch mit. 

Zwar ist die Goldschmiedin auch vom modernen Schmuck angetan, das Anfertigen von traditionellem Trachtenschmuck begeistert sie aber ebenso. «Einerseits fasziniert mich die Einfachheit dieses Kunsthandwerks, andererseits auch die Cleverness, insbesondere bezüglich Technik und Werkzeuge. Die meisten der Utensilien in ihrem Atelier seien über 100 Jahre alt. Sie sind ein Vermächtnis ihres Ur-Ur-Grossvaters Fritz Geissbühler. Er bewirtschaftete in Grünenmatt ein kleines Heimwesen. Dazu war er Filigranist, stellte neben Fotorahmen und Kelchen auch Trachtenschmuck her. «Er war ein grossartiger Gestalter, hatte ein ausgesprochenes ‹Gspüri› für Formen», sagt Marion Geissbühler über ihren Vorfahren, der 1880 mit diesem Kunsthandwerk begann. Dieses ‹Gspüri›, dazu auch viele Skizzen und spezielle Werkzeuge, gingen an seine Nachkommen weiter. Mehrere davon führten dieses Handwerk weiter – heute in der fünften Generation. Nebst Marion Geissbühler in Konolfingen betreibt auch ihr Cousin Marc Geissbühler in Herzogenbuchsee ein Atelier.



Der 3-D-Drucker kann warten

Im Wesentlichen habe sich an dem Kunsthandwerk in den letzten 140 Jahren nichts verändert, sagt Marion Geissbühler. Bleibt dies auch im Zeitalter des 3-D-Druckers so? «Beim modernen Schmuck setzen wir diesen in beschränktem Mass bereits ein», sagt die Goldschmiedin. Hingegen beim Trachtenschmuck sei sie momentan gar nicht offen für diese Technik. «Unser Schmuck ist beseelt, weil er ganz in Handarbeit entsteht.» Sie fände es sehr schade, dieses wunderschöne Kunsthandwerk durch den 3-D-Drucker zu ersetzen. «Aber wer weiss, in zehn, fünfzehn Jahren wird hier vielleicht anstelle des Stanzblechs ein 3-D-Drucker stehen.» Denn wegen des Kostendrucks sollten sie nämlich immer schneller arbeiten können.



Berner- und andere interessante Trachten

Werden in der heutigen Zeit noch viele neue Trachten samt Schmuck gekauft? «Wenn wir den Schmuck für eine neue Tracht herstellen dürfen, ist das für uns Kür. Es sind pro Jahr durchschnittlich etwa deren fünf. Mit dem reichhaltigsten Schmuck ausgestattet ist die Berner Sonntagstracht: vier Göllerhaften, acht bis zehn Brusthaften, eine Mittelbrosche, zwei Blumen vorne, eine hinten, dazu vier bis sechs Göllerketten  – alles aus Silber. Kann sich das noch jemand leisten? Die komplette Schmuckausstattung könne schon 4000 bis 5000 Franken kosten, sagt Marion Geissbühler. «Sämtliche Stücke fertigen wir in aufwendiger Handarbeit an. Und der Schmuck verliert seinen Wert nicht.»

Nebst der Berner Tracht gebe es zahlreiche an-dere, die mit exzellentem Schmuck versehen seien. Solchen herstellen zu dürfen finde sie ebenfalls sehr interessant und bereichernd für ihr Schaffen. «Dieses wunderbare Stück hier durften auch wir herstellen», sagt sie und zeigt auf ein silbernes, mit grünen und roten Edelsteinen versehenes Kreuz der Entlebucher Tracht.



Nur wenige beherrschen das Kunsthandwerk

Ein Grossteil ihrer Arbeit bestehe nicht darin, einen kompletten Trachtenschmuck -herzustellen. Oft würden sie den bestehenden Schmuck zu einer Tracht mit fehlenden Stücken ergänzen oder die Kundinnen -würden ihn vorbei bringen, um ihn reinigen und polieren zu lassen. Insbesondere vor grossen Festen wie dem bevorstehenden in Langnau nimmt diese Arbeit grossen Raum ein.

Marion Geissbühler hatte immer den Wunsch, das traditionelle Kunsthandwerk weiterzuführen und auch weiterzutragen. Es gebe nicht mehr viele Trachtenschmuckateliers und es würden auch nur noch ganz wenige das Filigranhandwerk beherrschen, weiss die Goldschmiedin. Bei der Geschäftsübernahme habe sie sich die Frage gestellt, ob sie diesen Betriebszweig nebst den Arbeiten als Goldschmiedin noch weiterführen könne. Sie hat sich trotz anfänglicher Unsicherheit dafür entschieden und, wie sie sagt, auf diesem Weg auch Glück gehabt. Zufällig sei sie auf den Berufskollegen Milad Kourie gestossen. Er habe viele Jahre in Syrien als Goldschmied gearbeitet und kenne sich in der filigranen Technik sehr gut aus. «Nun ist er schon zweieinhalb Jahre bei uns und fertigt mit viel Freude und Leidenschaft hiesigen Trachtenschmuck an.» Somit wird im Goldschmiede- und Filigranatelier Geissbühler nebst dem zeitgenössischen Kunstschaffen auch die Tradition des Trachtenschmucks weiterleben.

20.06.2019 :: Jakob Hofstetter (jhk)