50 Jahre Mühle Hess – und es geht weiter

50 Jahre Mühle Hess – und es geht weiter
Schwanden: Dass Fritz und Käthi Hess Nachfolger für ihre Mühle gefunden haben, betrachten sie als einen Glücksfall. Künftig sollen dort auch sozial benachteiligte Menschen arbeiten können.

Fritz und Käthi Hess mochten nicht mehr richtig daran glauben, dass sie einen Nachfolger für ihren Müllereibetrieb finden würden. Familienintern sei dies nicht möglich. Ein Sohn sei zwar gelernter Müller, vertrage aber den Mühlestaub nicht, berichten die Müllersleute. «Wir gingen davon aus, dass wir die Mühle schliessen müssen, wenn wir die Arbeit nicht mehr verrichten können», sagt der 75-jährige Müllermeister Fritz Hess. Seine Frau Käthi ist zwei Jahre älter und half bisher immer noch im Betrieb mit, wenn es sie brauchte.
Für die beiden ganz unerwartet erhielten sie im vergangenen Jahr eines Tages einen Telefonanruf von Heinz Baumann, der sich für die Mühle interessierte. «Wir hielten schon länger nach einem solchen Betrieb Ausschau», sagt Heinz Baumann, Präsident der Stiftung Jeruel (siehe Kasten). «Als ich dann von der Situation in der Mühle Schwanden erfuhr, meldete ich mich umgehend bei Fritz und Käthi Hess.» Das Pachtverhältnis kam zustande; die Mühle Schwanden GmbH wurde gegründet und führt nun den Betrieb. Mittlerweile ist Fritz Hess «nur» noch in beratender Funktion tätig, ist vor allem dann gefragt, wenn eine im Jahresverlauf neue Arbeit ansteht. «Die machen es aber schon recht gut, es braucht mich immer weniger», lobt Hess seine Nachfolger. Er sei froh, einerseits Verantwortung abgeben zu können, andererseits nicht so abrupt aus dem Berufsleben ausscheiden zu müssen.
In der Mühle wird, wie bereits vorher, Dienstag, Donnerstag und Samstag gearbeitet. Geleitet wird sie von einem demnächst pensionierten Landwirt; ein junger Müllermeister ­unterstützt ihn dabei. Vorgesehen sei, dass künftig auch Menschen in einer schwierigen Lebenssituation in der Mühle mitarbeiten könnten, sagt Heinz Baumann.

Kurzer Anfahrtsweg

«Viele Bauern aus der Umgebung hielten uns all die Jahre hindurch die Treue. Wir sind deshalb froh, dass sie nun weiterhin die Mühle in ihrer Nähe haben», sagt Käthi Hess. Der kurze Anfahrtsweg werde geschätzt. Auch den Umstand, dass die neuen Betreiber das bisherige Angebot aufrecht erhalten oder sogar ausbauen wollten, würden die Bauern begrüs­sen. In der Mühle wird das Getreide der Bauern gemahlen und je nach Wunsch der Kunden mit Zusatzstoffen gemischt. «Wir haben noch einige Kunden, die Brotgetreide anbauen und bei uns mahlen lassen», sagt Fritz Hess. Auch würden sie Arbeiten für andere Mühlen ausführen. Insgesamt  rund 300 Tonnen Getreide würden jährlich in der Mühle verarbeitet, so Fritz Hess.

Alt, aber wie alt?

Die Mühle Schwanden müsse sehr alt sein, mutmasst Fritz Hess. Genau sei dies nicht erforscht. Auch wisse er nicht, wie lange sie im Besitz der Familie Hess sei. Er hat sie vor 50 Jahren von seinem Vater übernommen, auch der Grossvater war dort Müller. Aus der vorangehenden Mühle-Zeit sei ihm lediglich bekannt, dass auch ein Gottfried und ein Ulrich Hess in Schwanden Müller gewesen seien. «Ich habe mich nie gross um die Geschichte gekümmert», gesteht Fritz Hess. Immerhin hat er erfreut zur Kenntnis genommen, dass auf seinem Familienwappen (Hess von Wyssachen) ein Mühlerad steht.

Nicht modern, aber zweckmässig
In den vergangenen 50 Jahren haben Fritz und Käthi Hess viel in die Mühle investiert. Die augenfälligste Veränderung war der Bau grosser Getreidesilos. Das Wasser des Goldbachs wird auch heute noch zur Energiegewinnung genutzt, aber nicht mehr wie früher durch ein Wasserrad. 1982 liess Fritz Hess eine Turbine einbauen, die eine Strommenge von rund fünf Kilowatt in der Stunde abgibt.
Zusammen mit ihren Besitzern sind auch die Maschinen und Geräte in die Jahre gekommen. «Wir sind nicht modern eingerichtet, aber sehr zweckmässig», hält der Alt-Müller fest. Wenn die Maschinen richtig gepflegt und gewartet würden, könnten diese ihren Dienst sehr lange tun. Fritz Hess hofft, dass auch er seinen Dienst noch lange tun kann, wenn nun auch in anderer Funktion. «Die Stromproduktion läuft jedenfalls weiterhin über mich; die Betreuung der Turbine ist für mich ein Hobby, das ich noch nicht aufgeben will.»
Die neuen Mühlebetreiber sind gestartet
Die neu gegründete Mühle Schwanden GmbH verfolgt laut Eintrag im Schweizerischen Handelsamtsblatt folgenden Zweck: «Die Gesellschaft fördert die Wertschöpfung der Region sowie die Eingliederung sozial benachteiligter Personen im Arbeitsleben, insbesondere im Mühlebetrieb und der Landwirtschaft.» Gesellschafter sind die Stiftung Jeruel, deren Präsident Heinz Baumann sowie ein weiteres Vorstandsmitglied. Die Stiftung Jeruel versteht sich als gemeinnützige, christlich überkonfessionelle Organisation. Ihre bisherigen Aktivitäten sind die auf christlichen Werten basierende Privatschule Salem (Schulalternative Emmental) auf Bäregg. Weiter betreibt sie das Projekt Netz in Sumiswald, welches  sozial benachteiligten Menschen eine Tagesstruktur bieten will, damit sie sich (wieder) in den Arbeitsmarkt und somit in die Gesellschaft eingliedern können.
Mit der Mühle in Schwanden würden sie zusätzlich noch den Aspekt berücksichtigen, dass die Wertschöpfung der Bauern in der Region bleibe, sagt Heinz Baumann. Sie möchten die Landwirte auch dazu ermutigen, wieder vermehrt Getreide anzubauen – auch Brotgetreide, damit das Wissen über Selbstversorgung in der Region erhalten bleibe. Mit dem Start der Mühle und mit der Auftragslage zeigt sich Heinz Baumann zufrieden.
18.08.2016 :: Jakob Hofstetter (jhk)