«Wir mussten zu Beginn viel Überzeugungsarbeit leisten»

«Wir mussten zu Beginn viel Überzeugungsarbeit leisten»
Die Kinder, denen der Besuch der öffentlichen Schule nicht möglich ist, werden in den internen Tagesschulen unterrichtet. / Bild: Regine Gerber (reg)
Eggiwil: Die Stiftung Innovation Emmental-Napf feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Bis heute hat sie das Ziel, mir ihren Projekten zur Stärkung der Region beizutragen.

Am Anfang stand die Idee, Kindern mit schwierigen Vorgeschichten bei intakten Pflegefamilien auf dem Land eine Zukunftsperspektive zu bieten. Susanne Frutig und Urs Kaltenrieder von der Atelier Aspos AG aus dem Kanton Zürich suchten in den 1990er-Jahren Partnergemeinden für die Umsetzung. Fündig wurden sie in Eggiwil. Der damalige Gemeindepräsident Ueli Haldemann liess sich für das Projekt begeistern. So entstand das Jugendhilfe-Netzwerk Integration. Ab 1998 platzierte es Kinder im Emmental, später kamen ein zweiter Standort im Entlebuch sowie interne Tagesschulen vor Ort dazu. Die Vision der Initianten ging aber von Beginn weg über die Kinder- und Jugendhilfe hinaus: Die Platzierungen sollten für die Region Wertschöpfung erzielen, Arbeitsplätze schaffen und somit einen Beitrag zur Regionalentwicklung leisten. Gemäss der Stiftung flossen durch ihre Projekte insgesamt rund 75 Millionen Franken ins Emmental und Entlebuch. Ausserdem seien 150 Voll- und Teilzeitstellen neu geschaffen worden.


Gespräche und Taten

Der Anfang war nicht einfach. «Wir sind auf Gegenwind gestossen und mussten zu Beginn viel Überzeugungsarbeit leisten», sagt Stiftungspräsidentin Susanne Frutig. Das Emmental mit seiner Vergangenheit mit Verdingkindern wollte keine neuen Kindesplatzierungen. «Gerade diese Sensibilität fürs Thema war jedoch eine gute Basis, um das Projekt mit der Bevölkerung sorgfältig umzusetzen», so Frutig. Auch die Emmentaler Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die Platz bietenden Bauernhäuser sowie die Wirkung der Landschaft erachteten die Projektgründer als optimale Voraussetzungen. 

Der Skepsis sei man mit offenen Gesprächen begegnet – und auch mit Taten. Die Stiftung erarbeitete etwa zusammen mit den damaligen Statthaltern Simon Bichsel und Markus Grossenbacher den Emmentaler Kodex, in dem hohe Qualitätsstandards für Familienplatzierungen festgelegt wurden. «Dennoch hören wir bis heute zuweilen den Vorwurf, dass wir mit Kindern Geld verdienen», berichtet Susanne Frutig. «Dabei ist das auch in anderen Betreuungsbereichen normal.»

Aktuell sind rund 30 Kinder in Familien platziert. Es sei schwieriger geworden, Familien zu finden, die bereit seien, ein Kind zu betreuen, hat Suanne Frutig die Erfahrung gemacht. «Die Familienstrukturen haben sich auch auf Bauernhöfen verändert.» Junge Landwirte hätten heute andere Vorstellungen, wie sie ihre Höfe bewirtschaften möchten, zudem arbeiteten die Frauen öfters auch extern.


Bedürfnisse und Herausforderungen

Im Laufe der Zeit kamen neue Stiftungsprojekte hinzu (siehe Kasten). «Geplant hatten wir dies nicht. Vielmehr entstanden sie aus Bedürfnissen heraus», sagt Frutig. So war es zum Beispiel bei der Lancierung des Gesundheitszentrums Oberes Emmental oder beim Kauf des Gasthofes Bären Eggiwil. Und es geht weiter: Kürzlich erarbeitete die Stiftung eine Machbarkeitsstudie für die Betreuung von jungen Demenzkranken im Emmental. Das Projekt sieht vor, bestehende Strukturen wie zum Beispiel das Gesundheitszentrum und geeignete Partnerfamilien miteinzubeziehen. 

Auch wenn sich die Angebote weiterentwickelt haben, sind die Stiftungsziele nach 25 Jahren immer noch dieselben. Man wolle sich auch in Zukunft für die nachhaltige Stärkung der Region engagieren. Der Bedarf sei da, betont Susanne Frutig. Denn: Nach wie vor stehe der ländliche Lebensraum, zum Beispiel wegen der Abwanderung, vor grossen Herausforderungen.

Von der Tagesschule bis zum Gasthof

Die Jugendhilfe-Netzwerk Integration AG platziert seit 1998 Kinder mit besondern Bedürfnissen in Bauernfamilien. Nach dem Start in Eggiwil wurde 2014 ein zweiter Standort in Escholzmatt in Betrieb genommen. An beiden Standorten führt die Stiftung interne Tagesschulen und verfügt über ein psychiatrisches und heilpädagogisches Angebot.


  • Die Stiftung war Initiantin des 2014 eröffneten Gesundheitszentrums Oberes Emmental in Eggiwil. Sie beteiligte sich am Aufbau und ist bis heute Aktionärin.
  • Seit dem Jahr 2017 besitzt die Stiftung den Gasthof Bären Eggiwil. Sie will das Restaurant als Vereinstreffpunkt erhalten sowie als Kultur- und Weiterbildungsort weiterentwickeln.
  • Zwischen 1998 und 2019 veranstaltete die Stiftung das Eggiwiler Symposium, eine Plattform, welche die Stadt-Land-Beziehungen thematisierte.
  • Die Stiftung lancierte das Projekt Triasol, für die regionale Nutzung des Fallholzes des Sturms Lothar. Seit 2009 wird das Projekt von zwei lokalen Holzfirmen weitergeführt.

16.11.2023 :: Regine Gerber (reg)