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Wunder gescheh’n, ich hab’s geseh’n

Irgendetwas fehlt. Dann weiss ich plötzlich, was es ist: Söckli. Unser schwarz-weisses und leicht überdrehtes Katzenmädchen. Ungewöhnlich, denn normalerweise taucht sie regelmässig auf. Also beschliesse ich, mich mal auf dem Hof umzusehen. Laut rufend laufe ich über den Hof, schaue in jede Ritze, hinter jede Tür. Keine Spur von Söckli. Oder doch? War das ein Miauen? Um auszuschliessen, dass der Wunsch Vater des Gedankens war, rufe ich erneut. Eindeutig ein Miauen. Und es kommt vom nahen Wald her. Ich überquere die Weide und zwänge mich unter Bäumen hindurch in den Wald hinein. Die Felswände fallen steil ins Tal. Das Miauen wird lauter und deutlicher. Dann entdecke ich sie und mir bleibt fast das Herz stehen. Hoch oben auf einer Fichte, die horizontal aus einer Fluh rauswächst, um im rechten Winkel über dem Bachtobel hängend in die Höhe zu wachsen. «Komm bitte runter», versuche ich
Söckli zu überzeugen, doch sie klammert sich angsterfüllt an einen Ast, der ihr als eine Art Nest dient. Der Regen wird stärker und ich beschliesse, mich drinnen aufzuwärmen. Dann wieder raus zu Söckli. Irgendwann stehe ich im Stockdunkeln mit der Taschen­lampe im Wald und rede auf die ­Kleine ein. Vergeblich. Mit einem unguten Gefühl haue ich mich für ein paar Stunden aufs Ohr. Sobald es hell ist, eile ich hinüber in den Wald. Die
gleiche Situation wie am Vorabend, es wirkt ausweglos. Kurzerhand rufe ich bei der Langnauer Feuerwehr an. Es ist Montagmorgen kurz nach sieben. Freundlich nimmt man mein Anliegen entgegen und verspricht mir, bald
werde jemand bei mir vorbeischauen.
Tatsächlich erscheint schon bald ein freundlicher Feuerwehrmann, der dann aber ähnlich ratlos vor dem Baum steht wie ich. Nein, da könne die Feuerwehr nicht helfen, zu gefährlich. Aber es gebe ein Spezial-Forstunternehmen im Eggiwil, das vielleicht helfen könne. Dort verspricht man mir, dass gegen Abend jemand vorbeikommen werde. Ich verbringe fast den ganzen Tag bei Söckli. Der Regen hat indes etwas nachgelassen. Doch hockt das Kätzchen mittlerweile seit mehr als 24 Stunden auf dem Baum. Erneut bin ich durchfroren und beschliesse, mir eine heisse
Dusche zu gönnen. Als ich die Duschkabine öffne, traue ich meinen Augen nicht. Söckli kommt eben durch die Katzentür. Ausgehungert, von Kopf bis Fuss voller Harz, doch anscheinend fit und munter. Nachdem sie sich den Bauch vollgeschlagen hat, schläft sie erschöpft ein. Ich rufe indessen die Forstfirma an und geben Entwarnung. Alles wieder gut, Katze wieder da.
Was für eine Aufregung!

20.04.2023 :: Ann Schär