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Das weinende Herz

Steh auf und schau auf dein Handy, habe ich mir im Halbschlaf gedacht. Mein Handy hörte nicht auf, Klingel-Geräusche von sich zu geben  – so ­vielen Nachrichten kamen herein.

Tagelang habe ich mich gefreut, dass ich endlich mal an einem Montag nichts zu tun habe. Eigentlich geniesse ich auch immer meine Wochenenden und schaue, dass ich den verpassten Schlaf vom Wochenstress nachholen kann und gleichzeitig auch meine ­freien Tage geniesse. Doch hin und wieder hat man auch gerne unter
der Woche einen entspannten Tag.

So stehe ich also am Montagmorgen auf und sehe die Nachricht. Ein Erdbeben in der Türkei. Meine ganze ­Freude? Weg. Als ich alles durchlese, sehe ich, dass Elbistan und Pazarcik, die Heimat meiner Eltern und meiner ­Familie, auch betroffen ist. Als mir ­bewusst wird, wie gross das Erdbeben war, ist die Frage «Wen haben wir alles verloren?» Das bedrückende und mulmige Gefühl wurde ich nicht mehr los. Die Temperatur sank in den Tagen nach dem Erdbeben auf bis zu minus 16 Grad. Als ob die Mutter Natur ­gegen diese Menschen spielen würde. So war mir ab dem ersten Tag an klar, dass ich hinfliegen möchte, um vor Ort zu helfen und auch alles mit eigenen Augen zu sehen. So entschied ich mich, mit meinem Verlobten zusammen private Spenden zu sammeln, um bis zu unserem Abflug finanziell etwas bei Seite zu haben. Knapp zwei Wochen nach den Geschehnissen, am 18. Februar, flogen wir hin und besorgten mit den Spendengeldern die nötigen Ressourcen. Der erste Tag fing mit einem Beben in der Stärke von 4,6 an. Es war das erste Mal, dass wir beide ein Erdbeben gespürt haben. Meine erste Frage war: Werde ich es eine Woche hier aushalten? Später bereute ich diesen Gedanken. Diese Menschen machen das seit Wochen mit und es hört immer noch nicht auf. Aber ich möchte nach Hause, obwohl ich weiss, dass ich nur eine Woche hier bin zum Helfen? Meine Wut, die ich dann später über mich selbst empfand, motivierte mich jeden Tag. Die Angst, die ich bei Erdbeben gespürt habe, wurde zwar auch am letzten Tag in der Türkei nicht weniger, aber ich wollte nicht mehr sofort zurück in die Schweiz. Denn ich sah die Freude in den Augen dieser Menschen, wenn sie hörten, dass wir hingereist sind, um für sie da zu sein. Jedes Jahr, seit meiner Kindheit, fliege ich mit meinen Eltern in deren Dorf. Das Gefühl von Verbundenheit wurde dank ihnen jedes Jahr gepflegt. Als ich aber auf meiner Reise sah, wie es unseren Dörfern und Mitmenschen geht, weinte mein Herz. 1,5 bis 2 Minuten, die uns Leben gekostet und unsägliches Leid angerichtet haben.

09.03.2023 :: Leyla Güzel