Ein Gespräch über Tod und Geburt, Homöopathie und Corona

Ein Gespräch über Tod und Geburt, Homöopathie und Corona
Die Langnauer Ärztin Danielle Lemann übernimmt aktuell noch Vertretungen, Ende Jahr müsse sie loslassen. / Bild: zvg
Langnau: 37 Jahre lang hat sie praktiziert, Ende Jahr will die Langnauer Hausärztin Danielle Lemann aufhören – jedenfalls fast. Sie war eine Pionierin für die Komplementärmedizin.

Eigentlich hat Danielle Lemann ihre Tätigkeit als Hausärztin auf Ende August beendet, wie einem Inserat in der «Wochen-Zeitung» zu entnehmen war. Aber ganz aufgegeben hat sie nicht. Das zeigt ein Besuch in der Praxis an der Bernstrasse. «Ich bin froh, dass ich bis Ende Jahr noch Vertretungen machen darf», sagt die 72-Jährige. «Aber nachher muss ich loslassen.» Aber doch nicht ganz: «Ich behalte meine Hausbesuchstasche mit allen nötigen Instrumenten. Und wenn nötig mache ich noch Palliativ-Hausbesuche bei Sterbenden. »


«Sterben gehört zum Leben» 

Das Sterben ist eines der Themen, das die Ärztin nicht loslässt. «Wie bei der Geburt sollte der Mensch auch beim Sterben nicht allzu sehr eingreifen. Eine der grössten Errungenschaften des vorigen Jahrhunderts ist die Pal­liativmedizin», sagt sie, «dank dieser Sterbende nicht leiden müssen». Dass manche Leute mit der Hilfe von Exit sterben wollen, könne sie zwar in gewissen Situationen verstehen, aber eigentlich findet sie, es wäre besser, «mit Gesprächen auf ihre Verzweiflung und ihre Probleme einzugehen.» Sie selber hat in ihrer Patientenverfügung bestimmt, dass sie am Lebensende nicht in ein Spital eingewiesen werden will. «Sterben gehört zum Leben, wir müssen uns als Gesellschaft mehr damit befassen.» 

Gefragt nach den schönsten Erlebnissen in ihrer Tätigkeit, kommt sie auf die fast 200 Hausgeburten zu reden, zu denen sie beigezogen wurde. «Das war jedes Mal ein Riesenerlebnis», sagt Danielle Lemann, und sie findet, es seien «tolle Mütter», die sich Hausgeburten zutrauen. Auch die vier eigenen Kinder seien für ihr Leben und auch für die Praxis, in der sie immer viele Kinder betreut hat, wesentlich gewesen. Was sie aber in ihrer Tätigkeit am meisten bedrückt hat, waren die Folgen von Krebserkrankungen. «Da gibt es so viele schlimme Geschichten. Es war tragisch, wenn auch die Mistel nicht helfen konnte.» Diese Therapie für Krebserkrankungen sei eines der vielen wirksamen Naturheilmittel. Mit den heutigen Antikörpertherapien lebten Patienten jetzt zwar manchmal länger, aber es gebe auch viele Nebenwirkungen. 


Komplementärmedizin am Spital 

Die Mistel führt zu einem Thema, das die Praxis von Danielle Lemann und ihren immer noch praktizierenden Ehemann, Hansueli Albonico, bekannt gemacht hat: die Komplementärmedizin. Dank ihrem Einsatz gab es im Spital Langnau von 1997 bis 2012 eine Abteilung für Komplementärmedizin. Ein grosser Erfolg war für die beiden die Annahme der Abstimmung 2009, die dafür sorgte, dass Komplementärmedizin in der Krankenkassen-Grundversicherung wieder übernommen wurde. Darauf angesprochen, dass die Homöopathie in der Medizinwissenschaft umstritten sei, sagt Lemann: «Nach unserer Erfahrung wirken homöopathische Mittel bei korrektem Einsatz sehr gut; wir brauchen weniger chemische Medikamente. Unsere Patienten verlangen nach Komplementärmedizin.» 

Auch auf einem anderen Gebiet ist Lemann der Schulmedizin gegenüber zurückhaltend: Covid-19. Sie selber hat sich nicht impfen lassen. «Ich bin der Meinung, dass Corona nicht eine so schlimme Krankheit ist, vor allem weil Kinder nicht betroffen sind», sagt sie. Älteren Menschen habe sie die Impfung empfohlen, sie selber hätte sich nur aus sozialen Gründen impfen lassen. Will heissen: Wenn beispielsweise das Praxisteam oder die Familie darunter gelitten hätte. Zweimal hatte sie leichte Covid-Verläufe. Auch bei anderen Impfungen ist sie zurückhaltend, vor allem den vielen empfohlenen Impfungen im ersten Lebensjahr. Auch die meisten Eltern in ihrer ­Praxis seien nicht impffreudig, sagt Da­nielle Lemann, «die musste ich von der Impfung gegen Starrkrampf und vor der Pubertät von der Masern- und Röteln-Impfung überzeugen». 

Schliesslich gibt es noch ein weiteres Feld, bei dem sie über Kreuz mit der modernen Welt liegt: Elektrosmog, 5G-Antennen. «Empfindliche Menschen leiden sehr darunter.» Ein Mobilphone habe sie aber schon, «wegen dem Notfalldienst, da ist ein Handy schon ‹gäbig›». 


«Bessere Tarife für Hausärzte» 

Die Praxis in Langnau eröffnet haben sie und Hansueli Albonico 1985, nach einem zweijährigen Aufenthalt in einem Spital in Simbabwe. «1985 gab es noch zu viele Hausärzte», berichtet Danielle Lemann, «das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.» Und sie findet, man müsste den Hausärzten bessere Tarife geben, sie Medikamente dispensieren lassen. «Als Hausarzt wird man ohnehin nicht reich.» In ihrer langen Karriere als Hausärztin, Schulärztin an der Steinerschule, Ärztin bei Eishockeyspielen und vieles andere mehr gibt es auch ein Stück Politik: Nach Jahren im Langnauer Parlament sass sie von 2006 bis 2011 für die SP im Grossen Rat und führte einen Kampf, der auch 2022 noch aktuell ist: «Ich habe mich vor allem mit der Spitalpolitik befasst, mich dafür engagiert, dass das Spital Langnau weiter besteht. Das war manchmal frustrierend, auch die SP ist für Spitalschliessungen auf dem Land, da hätte ich mit der SVP zusammenspannen sollen.» Ihr Fazit nach fünf Jahren im Kantonsparlament: «Politik bringt viel Konfrontation, der Arztberuf beruht auf Empathie – das geht fast nicht zusammen.» 

06.10.2022 :: Rudolf Burger (bur)