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Intercity-Klima

«Es ist frustrierend», klagte die junge Frau gegenüber im Abteil und deutete auf die braungebrannten Wiesen, die vor dem Zugfenster vorbeiflitzten. «Wo führt das noch hin, wenn man es selbst bei uns fast nicht mehr aushält vor Hitze?» Ein ausgetrocknetes Bachbett rauschte vorbei.
«Nur etwas Geduld, im Herbst wird es wieder besser», versuchte ich sie zu trösten. Da fuhr sie auf: «Nein, nichts
wird besser! Was wir hier sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Gehen Sie mal nach Bangladesh oder auf die Philippinen, oder nach Afrika, da sehen Sie, was der Klimawandel bedeutet! Oder schauen Sie, wie die Gletscher schmelzen!» – «Da kann man nichts machen dagegen», versuchte ich einzuwenden, aber das kam gar nicht gut an. «Eben, das ist es gerade! Weil ihr nichts gemacht habt, sind wir heute so weit! Die Meeresspiegel steigen, die Wüsten breiten sich aus, Menschen verhungern oder müssen flüchten, es gibt Kriege, Hurricans, Unwetterkatastrophen – und wir schauen einfach zu im klimatisierten Intercity!» Ich fühlte mich gerade ein wenig mitschuldig. Wir Alten stehlen den Jungen die Zukunft, wird uns ja etwa vorgeworfen. «Ja, niemand will fürs Klima auf etwas verzichten», sagte ich. «Die Politik macht vor allem nichts», erwiderte sie, »die sollten durchgreifen, CO2 reduzieren, alternative Energien pushen!» – «Die Politik sind auch wir beide», gab ich zu bedenken. «Wenn von uns niemand bereit ist, weniger zu verdienen und weniger zu konsumieren, wird auch in der Politik nichts passieren. Schliesslich wollen alle wieder gewählt werden.» – «Dann müssen wir halt die richtigen Leute wählen», entgegnete sie. «Wenn wir das Klima retten wollen, müssen wir uns drastisch einschränken. Aber ich bin nicht sicher, ob wir alle das wollen», sagte ich. Sie schaute aus dem Fenster. Der Zug kam in Zürich Hauptbahnhof an, ich verabschiedete mich und stieg aus. Sie fuhr noch weiter, Richtung Flughafen.

18.08.2022 :: Samuel Burger