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Hänsin im Schneggenloch

Ich leide am Hänsin-im-Schneggenloch-Syndrom. Was ich habe, das will ich nicht und was ich will, das habe ich nicht. 

Im Winter, wenn ich vom Sommer träume, neige ich dazu, den Sommer zu idealieseren. Träumerisch denke ich an die Sommerabende, an die warmen Lüftchen, an die braune Haut, an fröhliche Musik und Menschen, an Gelati und kühles See- oder Meerwasser. All das ist ja wirklich auch wahr und schön. Aber was ich in diesen Träumereien immer ausblende, sind die Schattenseiten der sonnigen Zeit. Was ich beispielsweise jeden Winter komplett vergesse, sind die Insekten: In meiner Fantasie sind diese Tierchen einfach nicht vorhanden, weggeschnitten aus meinem schönen Sommerfilm. Retuschiert. 

Komplett schockiert bin ich dann, wenn die Fliegen plötzlich auf meinem feinen Sommersalat sitzen und mich die Wespen beim Essen attackieren. Schon fast empört bin ich, wenn ich gemütlich bei einem Glas Wein am Abend bei angenehmer Wärme auf dem Balkon sitze und dann doch ins Haus muss, weil sämtliche Mücken der Region es auf mich persönlich abgesehen haben. 

Auch Strandtage idealisiere ich gerne in meinen Träumen. Ich vergesse, dass es ja meist am Strand sehr heiss ist und die Schattenplätze dementsprechend auch heiss begehrt sind. Die Zecken im Wald, die klebrigen T-Shirts, die stöhnenden Menschen, die sich über die Hitze beklagen, all das ist in meinem Sommertraum nicht vorhanden. Die braune Haut, die meistens zu Beginn des Sommers eher rot ist, die schlaflosen Nächte, das ewige Surren der Fliege, die ich noch nicht erschlagen habe und die meistens genau dann auftaucht, wenn ich gerade doch noch eingenickt wäre. 

Und so kommt es, dass ich auf meinem Tüechli liege, «mitts ar Sunne», da die Schattenplätze alle weg sind und auf einmal die schönsten Träume vom Winter habe. Ich sehe Schnee und Eiszapfen und kann es kaum erwarten. Ich freue mich auf jede einzelne Schneeflocke, die vom Himmel fallen wird.

Doch dann wird mir schlagartig bewusst, dass ich wieder im Teufelskreis des Hänsin-im-Schneggenloch-Syndroms feststecke. Sobald ich diesen Teufelskreis bemerke, stehe ich ruckartig auf, hudle die Müggeli von mir ab, bewege meinen trägen , verschwitzten Körper Richtung See, schaue dabei, dass ich nicht auf ein «Wäschpi» stehe, und springe platsch ins kühle Nass.

Zumindest genau in diesem einen Platsch­moment und den darauf folgenden Schwimmbewegungen scheint das Leben einer Hänsin-im-Schneggenloch für einmal ganz in Ordnung.

Einen schönen Sommer allerseits!

21.07.2022 :: Fabienne Diessel-Krähenbühl