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Herausputzen

Es gibt Szenen, die einem ewig im Gedächtnis bleiben. An diese muss ich mich immer erinnern, wenn ich lausig gekleidete Menschen in Theatern sehe. Es war in den 1990-ern, als ich von meiner Redaktion an eine Präsentation des Friedrichsbau-Varietés nach Stuttgart geschickt wurde. Hier sind einst Josephine Baker, Karl Valentin oder die Kessler-Zwillinge aufgetreten – es ist eine kulturelle Institution. Das 1944 zerbombte Jugendstil-Theater wurde 1994 neu gebaut und lud zu dieser Präsentation, an der auch der hier bekannte Massimo Rocchi auftrat. 

Es war heiss draussen und ich wählte dem Anlass angemessen ein elegantes Sommerkleid. Alle Schreiberlinge sassen im prächtigen Theatersaal auf dunkelroten Samt-Sesseln, knabberten an Kanapees und genossen die Kurzauftritte der Kunstschaffenden. Worüber ich mich im Inneren aufregte, war das Erscheinungsbild meiner Zunft. Gleich neben mir fläzte ein Kollege in kurzen Hosen und uraltem T-Shirt in Erdferkelbraun. Mit den Outfits der anderen stand es auch nicht besser. Ich stellte mir damals die Frage, wie man als Kulturschreibender oder Gast bei Anlässen auftauchen sollte: Müssen Presseleute verdeutlichen, dass sie dort ihren Dienst tun, indem sie möglichst abgerissen erscheinen? Ist es völlig okay, wenn man eine Oper oder ein klassisches Konzert besucht und aussieht, als käme man gerade vom Einkaufen oder hätte vorher schnell mal Freunden beim Zügeln geholfen? 

Schimpfen Sie mich konservativ, aber ich finde ein festliches Äusseres bei entsprechendem Anlass respektvoll gegenüber den Musizierenden und Schauspielenden. Mitglieder eines Sinfonie- oder Kammerorchesters kommen immer in feinen Kleidern und Anzügen, Theaterleute ziehen sich sogar mehrfach um, wenn es das Stück verlangt. Da sollte es doch möglich sein, dass sich das Publikum für den Abend fein macht. Auch, um sich auf den Anlass einzustimmen. Sich herausputzen ist hierbei ein schöner Ausdruck. 

Doch an der Premiere von «Bärewirts Töchterli» in Signau lag ich ziemlich daneben mit meiner Kleidung. Ich ging dem Wetter vertrauend im feinen Strickjäckchen an die Vorstellung und nahm all die Freilichtprofis wahr, die fast bis zur Unkenntlichkeit eingemummelt waren – denn es regnete. Selbst Organisationsleiter Hans Flückiger muss sich Sorgen um mich gemacht haben und brachte mir unaufgefordert einen Regenschutz, den ich zwar dann nicht brauchte, weil der Regen kurz vor Beginn aufhörte. Aber ich bin sicher: Ohne dieses Plastikcape hätte es aus Kübeln gegossen. 

30.06.2022 :: Christina Burghagen (cbs)