Der jüngste Tramfahrer in der Stadt Bern

Der jüngste Tramfahrer in der Stadt Bern
Die Umgebung stets im Blick: Joel Siegenthaler konzentriert sich auf seine Fahrt. / Bild: Lisa Willener (lwh)
Röthenbach: Von Fahrgästen erntet er manchmal lange Blicke. Mit seinen 19 Jahren ist Joel Siegenthaler aus Röthenbach der jüngste Tramfahrer in der Stadt Bern.

Immer wieder blickt Joel Siegenthaler auf seine Armbanduhr. Umgeben von Pendlern und Stadtgängern steht er an einer Tramhaltestelle am Bahnhof Bern und wartet auf sein Tram. Mit einer leichten Verspätung trifft es schliesslich ein. Der Fahrer steigt aus der Führerkabine aus und tauscht noch kurz einige Worte mit Joel Siegenthaler. Dann verabschiedet er sich und überlässt seinem jungen Kollegen das Fahrzeug. Sofort steigt der Emmentaler ein, stellt den Sitz auf die richtige Höhe und ist bereit. Auf Joel Siegenthaler wartet eine rund dreistündige Schicht im Tram Nummer 8: vom Hauptbahnhof vorbei am Zytglogge und dem Helvetiaplatz bis ins Egghölzli und schliesslich ins Saali. Dort gibts eine kurze Pause, und dann fährt das Tram wieder in die entgegengesetzte Richtung zum Bahnhof beim Westside. 


Unerwarteter Schritt

Bereits seit rund einem halben Jahr kann sich Joel Siegenthaler Tramfahrer – oder wie die offizielle Bezeichnung lautet – Wagenführer nennen. Zuvor absolvierte er die dreijährige Lehre als Fachmann ÖV bei Login Berufsbildung. Zwei der drei Lehrjahre war er bereits bei Bernmobil. Vom Betrieb sei schliesslich auch die Idee aufgekommen, ob er nicht die Ausbildung zum Tramfahrer machen möchte. «Eigentlich hatte ich Busfahren angepeilt, aber für das bin ich momentan noch zu jung», erklärt der 19-Jährige. Da er alle Vorgaben fürs Tram erfüllte, startete er vergangenen November die anderthalbmonatige Ausbildung. Dort habe er zuerst den Fahrdienst kennengelernt. «Dann fährt man mit den verschiedenen Fahrzeugtypen die unterschiedlichen Strecken und vor allem die Schienen fahrschulmässig ab.» Zudem sei er schon ziemlich bald zum ersten Mal mit Fahrgästen gefahren. Schliesslich lerne man in der Ausbildung auch den Umgang mit diversen Störungen und Situationen kennen. «Viele dieser Dinge braucht man dann im Regelverkehr aber kaum», hat Siegenthaler die Erfahrung gemacht.


Lebendige Umgebung

Ohne Probleme absolvierte der junge Emmentaler die Ausbildung und fährt nun selbstständig auf den vier Linien in der Stadt Bern. Da wartet ein Rollstuhlfahrer an einer Haltestelle auf das Tram Nummer 8. Sofort steigt Joel Siegenthaler aus, geht nach hinten und klappt die Rampe herunter, damit der Mann ohne Probleme ins Tram gelangen kann. Tatsächlich komme er fast nur mit Menschen im Rollstuhl in persönlichen Kontakt. «Ansonsten kriegst du als Fahrer nicht so viel von hinten mit.» Und das ist auch gut so, immerhin muss ein Tramfahrer sich voll auf die Strasse vor sich konzentrieren können. Das Fahren sei einfach, aber die Umgebung müsse man schon im Auge behalten. «Fussgänger, Velofahrer, Autos, andere Trams und Busse», zählt Joel Siegenthaler auf. «Und es ist natürlich nicht wie beim Autofahren», erklärt er weiter, «da kannst du nicht auf die Bremsen gehen und stehst dann sofort still.»


Konkrete Zukunftspläne

Mit seinen 19 Jahren ist Joel Siegen-
thaler der jüngste Wagenführer in Bern. «Wie es schweizweit aussieht, weiss ich nicht», sagt er mit einem Schulterzucken. Im Team gebe es deshalb aber keine Probleme. Manchmal ernte er von einem älteren Kollegen vielleicht einen lustig gemeinten Spruch und von den Fahrgästen gebe es immer mal wieder lange Blicke. «Ich denke, viele kommen wahrscheinlich gar nicht auf die Idee, so jung schon diese Ausbildung zu machen», erklärt er sich das Ausbleiben junger Kollegen. Langweilig sei es auf alle Fälle nicht. Ausserdem sagt er: «Ich fahre ja gerne und darf das erst noch für Geld machen.» Für seine Zukunft hat er auch schon Pläne. Sobald er 21 Jahre alt ist und somit das Mindestalter für den Bus erreicht hat, würde er gerne auf den Bus wechseln. «Später vielleicht in Kombination mit einer Tätigkeit in der Leitstelle oder im Kontrolldienst.» 

Nachdem das Tram Nummer 8 am Kocherpark und beim Hirschengraben vorbeigefahren ist, erreicht es wieder den Hauptbahnhof und öffnet seine Türen für die nächsten Gäste. Für Joel Siegenthaler ist aber noch nicht Feierabend. Er fährt die Runde noch ein weiteres Mal.

09.06.2022 :: Lisa Willener (lwh)