Im Gebiet Schrattenfluh–Beichlen grassiert die Gämsblindheit

Im Gebiet Schrattenfluh–Beichlen grassiert die Gämsblindheit
Wenn Gämsen nicht mehr gut sehen, sind sie in ihrem steilen Lebensraum verloren. / Bild: zvg
Region Entlebuch: Vor zwei Jahren wurden erste Ausbrüche von Gämsblindheit registriert; die Krankheit verbreitet sich rasch und tritt sehr aggressiv auf. Dutzende Tiere starben.

«Vor zwei Wochen haben wir die ersten Fälle an der Beichlen festgestellt», sagt Wildhüter Daniel Schmid, angesprochen auf die Gämsblindheit. Seit vergangenem Herbst grassiere die Krankheit bereits im Gebiet Schrattenfluh. «Hinzu kommt, dass wir dort einen sehr aggressiven Verlauf feststellen mussten», sagt Schmid. Ursache für die Erkrankung ist ein Bakterium (siehe Kasten). 

Sehr viele kranke Gämsen erlegt  

«Erkrankte Tiere bewegen sich in ihrem steilen, felsigen Lebensraum sehr unsicher», sagt der Wildhüter. «Man muss sich in eine Gämse hineinversetzen: Man hört oder riecht etwas Ungewöhnliches und will fliehen – sieht aber kaum etwas!» Er bittet daher Berggänger und Hundeführerinnen, auf den Wegen zu bleiben, um die Tiere möglichst nicht zu stören. Wie viele Gämsen betroffen sind, lässt sich nicht detailliert sagen. Seit Herbst 2021 mussten aber im Gebiet Schrattenfluh über 60 Tiere erlegt werden. Das sind deutlich mehr Gämsen, als für eine normale Jagd freigegeben werden. Schmid hat dabei eng mit der Jägerschaft zusammengearbeitet, die auf die eigentliche Gämsjagd verzichtet hat. Die Pächter der Jagdreviere sind berechtigt, kranke Tiere auch ausserhalb der Jagdzeiten zu erlegen. Bei den erlegten Tieren handle es ich um solche, die keine Aussicht auf eine Genesung gehabt hätten, so Schmid. Das heisst, sie sind komplett erblindet und abgemagert, weil sie kaum mehr Nahrung aufnehmen. 

Steinböcke können ebenfalls an Gämsblindheit erkranken. Als die Krankheit vor zwei Jahren in der Steinwildkolonie am Brienzergrat war, seien aber nur wenige Fälle registriert worden, sagt Daniel Schmid.  

Wie präsentiert sich die Lage in den angrenzenden bernischen Gebieten? «Im Gebiet Hohgant wurde vereinzelt Gämsblindheit festgestellt. Da der Gämsbestand dort eher rückläufig ist, wurde der Abschuss nach unten angepasst», schreibt die Wildhut des Kantons Bern auf Anfrage. 

Schafhalter sind in der Pflicht 

Auch Schafe und Ziegen können von der Krankheit betroffen sein, respektive diese weiterverbreiten. Insbesondere in der Region Flühli-Sörenberg werden auf einigen Alpen vor allem Schafe gehalten, teils über 200 Tiere von mehreren Haltern. Der Veterinärdienst des Kantons Luzern schreibt in den Informationen zur Sömmerung 2022: «Es dürfen nur gesunde Tiere auf die Alp gebracht werden.» Die Krankheit Gämsblindheit wird dabei explizit erwähnt. Der Veterinärdienst macht Stichproben bei der Alpauffuhr. Die aktuelle Situation fliesse bei der Auswahl der kontrollierten Alpen mit ein. «Die Tiere werden dabei optisch beurteilt», erklärt Kantonstierarzt Martin Brügger. Proben würden in der Regel keine genommen. 

Wie viele Schafe, Ziegen oder Rinder in den vergangenen Sommern von der Krankheit betroffen waren, wird nicht erhoben, weil es sich nicht um eine meldepflichtige Tierseuche handele, sagt Brügger. Immerhin kann die Gämsblindheit, so sie rechtzeitig erkannt wird, bei Haustieren meist behandelt werden.

Wenn ein Bakterium das Auge erblinden lässt

Die Gämsblindheit ist eine hochansteckende Augenentzündung, konkret der Binde- und Hornhaut. Die bakterielle Krankheit tritt nicht nur bei Gämsen und Steinböcken auf, sondern auch bei Schafen und Ziegen. Ein ähnlicher Erreger kann auch Rinder betreffen. In leichtgradigen Fällen treten gerötete Bindehäute auf. Schwere Fälle führen hingegen zu Narben oder gar Löchern in der Hornhaut, was eine vollständige Erblindung zur Folge hat. 

Wie wird die Krankheit übertragen?

Das Bakterium wird über das Augensekret ausgeschieden. Übertragen wird es bei Begegnungen auf sehr kurze Distanz, wobei oft Fliegen den Erreger von einem Tier zum nächsten transportieren. Ausserhalb des Auges stirbt das Bakterium schnell ab; daher wird die Krankheit nicht verbreitet, wenn etwa Augensekret auf eine Pflanze tropft, die dann von einem anderen Tier gefressen wird. Weil Haus- und Wildtiere manchmal in unmittelbarer Nähe voneinander äsen, besteht die Gefahr, dass gealpte Schafe und Ziegen die Gämsblindheit weiterverbreiten, respektive an ihr erkranken. Dabei können nicht nur Tiere mit Tränenfluss, sondern auch solche ohne Krankheitszeichen das Bakterium verbreiten. 

Quelle: Wildhut, Veterinäramt Kanton Luzern

24.03.2022 :: Bruno Zürcher (zue)