Posten mit Aufstiegsmöglichkeit

Posten mit Aufstiegsmöglichkeit
Hans Stucki (links) war in den letzten 24 Jahren mehr als 2000 Mal auf dem Turm. Nun übergibt er den Posten des Turmwarts an Hans Neuenschwander. / Bild: Rudolf Burger (bur)
Röthenbach: Hans Stucki gibt seine Tätigkeit als Turmwart per Ende Mai auf. Sein Nachfolger wird Hans Neuenschwander. Ein Treffen mit den beiden über den Baumwipfeln des Gauchernwaldes.

Seit 1998 spielt der Chuderhüsi-Turm eine wichtige Rolle im Leben des Zimmermanns Hans Stucki aus Röthenbach. Zunächst gemeinsam mit seiner Frau Rosmarie, dann, nach seiner Pensionierung, war er allein verantwortlicher Turmwart. Auf Ende Mai hat der 81-Jährige gekündigt, ein Anlass für ein Rendez-vous auf 37 Metern Höhe mit ihm und seinem designierten Nachfolger. «Sicher über 2000 Mal bin ich hinaufgestiegen, jede Woche zwei- bis dreimal», sagt Stucki, und bis letztes Jahr «ohne zu leuen», jetzt aber müsse er unterwegs einmal kurz anhalten. Der Turm, sagt er also, sei gut für seine Gesundheit. Man glaubt es ihm, denn der Turm gibt viel zu tun: Jetzt im Winter zum Beispiel müssten die Stufen von Schnee und Eis geräumt werden. Und seit der neue Turm stehe, habe er schon rund 30 Stufen ersetzen müssen.


Vorgängerturm abgebrannt

Der neue Turm? Eine Informationstafel unten erinnert daran, dass der Lehrer Ruedi Megert die Idee hatte, zur 850-Jahrfeier der Gemeinde Röthenbach einen Aussichtsturm zu bauen. Das Projekt gefiel, Geld wurde gesprochen, der Turm stand 1998 rechtzeitig zur Geburtstagsfeier. Doch drei Jahre später schon lag der Turm in Schutt und Asche – Unbekannte hatten oben auf der Aussichtsplattform mit Feuer gespielt. So wurde ein neuer Turm gebaut, der im Mai 2002 eröffnet werden konnte – mit Sprinkleranlage, wie es sich nach dem Malheur ein Jahr zuvor versteht. Wie auch schon beim Vorgängerbauwerk wurde bei der Konstruktion ausschliesslich Weisstannenholz verwendet. «Es ist sehr witterungsbeständig, weil es Wasser gut abweist», sagt Zimmermann Stucki und verweist stolz darauf, dass alles Holz von Bauern gespendet worden sei. 52 Einträge umfasst denn auch die entsprechende Spenderliste; und neben Röthenbach haben sich auch fast ein Dutzend andere Gemeinden des Emmentals sowie viele Firmen am Wiederaufbau beteiligt. Lang ist auch die Liste der Einzelpersonen, die ins Portemonnaie griffen. Eine Treppenstufe war für 170 Franken zu haben, und dass jede mit dem Spendernamen beschriftet wurde, hilft jetzt Leuten mit Höhenangst beim Aufstieg: «Ich rate ihnen jeweils, auf jeder Stufe die Namen zu lesen und nicht nach unten zu schauen. Das funktioniert, plötzlich stehen sie ganz oben», sagt Stucki.


Unterwegs eine Geschichtslektion

Wer beim Aufstieg aus Höhenangst die Spendernamen auf den 195 Stufen liest, verpasst aber vielleicht die kleinen Schilder am Geländer, die auf geschichtliche Ereignisse hinweisen. Da steht etwa zu lesen, dass sich die Röthenbacher im Jahr 1428 in Bern beklagten, weil sie seit mehr als drei Jahren keinen eigenen Priester mehr gehabt hätten. Und – eine Erinnerung an damals schon vorhandene Spannungen zwischen Stadt und Land – 1653 wurde Weibel Hans Rüegsegger als «Redlinführer» (Rädelsführer) im Bauernkrieg in Bern enthauptet. 

Was haben die langen Jahre der Arbeit Hans Stucki Kurioses beschert? Kürzlich habe er zum Beispiel eine Abseilaktion vom Turm mitverfolgen können. «Die hatten natürlich keine Bewilligung, und sind rasch verschwunden», sagt er. Weiter hätten ab und zu Leute auf der Aussichtsplattform übernachtet, was verboten sei. Ja, und auch Liebespaare hat Turmwart Stucki schon mitten in ihrer Beschäftigung gestört, wie er lachend erklärt. 

«Hätte es den Turm in unserer Jugend schon gegeben, wäre das wohl auch uns eingefallen», meint Stuckis Nachfolger Hans Neuenschwander. Er wird Ende Mai pensioniert und freut sich auf seine neue Aufgabe. Die bringe ihn ausser Haus. «Die Frauen haben es ja nicht gerne, wenn man ihnen im Haushalt dreinredet», findet er. Ausserdem habe er als damaliger Gemeinderat mitgeholfen, die Holzspendeaktion für den Turmbau zu organisieren. Neuenschwander und Stucki sind als passionierte Jäger oft gemeinsam unterwegs. «Stucki Hans hat schon lange gesagt, Turmwart wäre nach meiner Pensionierung ein Posten für mich.» Er ist vom Beruf her zwar ursprünglich Bauer, sieht sich aber für den Posten gerüstet: Er sei «handwerklich recht gut drauf». Und wenn es einmal etwas Grösseres zu tun gebe, wende er sich an seinen Vorgänger.


Auch der Picknickplatz gibt zu tun

Zu den Aufgaben des Turmwarts gehört es auch, den Picknickplatz neben dem Turm mit seinen Tischen, Bänken und der Feuerstelle im Schuss zu halten. Das heisst, Feuerholz zu rüsten und natürlich: dafür zu sorgen, dass die Unordnung nicht einreisst. «Ich muss schauen, dass es immer sauber ist. Wenn man einmal etwas liegen lässt, kommt sicher bald mehr dazu», sagt Stucki. Im Sommer gebe der Picknickplatz sogar mehr zu tun als der Turm. Mit Corona seien mehr Leute gekommen, und ja, vor allem Jugendliche sorgten ab und zu für Probleme: Haschisch sei schon geraucht und Flaschen seien vom Turm herabgeschmissen worden, aber er wolle «gar nicht klagen». 

Kein Zweifel: Hans Stucki hat seine Arbeit als Turmwart gerne gemacht. Was daran wird er ab dem 1. Juni am meisten vermissen? «Dass ich nicht mehr so oft unter die Leute komme. Ich habe beim Putzen immer viele getroffen. Und, wie gesagt, das Treppensteigen, wegen der Gesundheit.»

24.02.2022 :: Rudolf Burger (bur)