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Als das Brett vor dem Kopf fiel

«Das kann aber jetzt nicht euer Ernst sein», maulte ich meinen Partner in den Anfängen meiner Schweizheimat an. Gerade kam im Radio das Lied «Son of a preacher man», nicht in der Originalversion von Dusty Springfield,
sondern in Walliser Mundart: «Das isch där Sohn vom Pfarrär gsy». Ich war empört. Mein deutsches Brett, das ich vorm Kopf hatte, verhinderte eine ganze Weile, Musik mit mundartlichen Texten zu akzeptieren. Aber ich lebe hier mit dieser Sprechweise, von der ich anfangs behauptete, es sei eine Katzen-Sprache, weil so viele «Miau»-Laute vorkommen. «Sohn vom Pfarrär gsy» – das ging jedenfalls gar nicht. 

Doch meine Einstellung nahm eine Wendung, als mich die «Wochen-Zeitung» im Dezember 2013 zu einem Konzert in die Kupferschmiede Langnau schickte. Irgendwas mit Hase, Schlange und Mundart schnappte ich auf und hatte keinen Dunst, was mich erwartete. Unbedarft taperte ich zum Eingang und schob mich durch die Menschen, die mich bald im Veranstaltungssaal umzingelten. Mundart-Blues und Rock kam also auf mich zu. Na, das konnte ja heiter werden. Ich dachte an den Sohn des Pfarrärs.

Was dann passierte, hätte ich mir nicht vorstellen können: Ich hing fasziniert an den Lippen von Endo Anaconda alias Andreas Flückiger und vergass alles um mich herum. Diese Urgewalt sang vom bösen Alter, grub in menschlichen Abgründen, balsamierte das Publikum mit Zynismus und beschwichtigte es mit hinreissenden Balladen. 

Eine antrainierte Bühnenmaske schien dieser Künstler nicht zu besitzen. Alles pur, alles echt, alles schonungslos. Während ich das hier schreibe, finde ich doch tatsächlich auf der Stiller-Has-Webseite den damaligen Text aus der «Wochen-Zeitung», in dem ich schrieb: «Dabei fragt man sich, warum ein Beatrice-Egli-Land, in dem man sich für alles entschuldigt und bedankt, solch einen klarwortigen und drastischen Künstler hervorbringt.» Ja, damals dachte ich noch nicht so differenziert über meine Wahlheimat nach. 

Ich hatte später noch einige Male die Ehre, Konzertbesprechungen über Endo Anaconda zu schreiben. Immer mit dem Gefühl, gestärkt worden zu sein in meinem Ansinnen für klare Worte. Angesprochen habe ich ihn nie. Ich hätte Angst gehabt, ihn zu langweilen und ein paar seiner klaren Worte um die Ohren zu bekommen. Nur im Traum habe ich letzte Nacht mit ihm geredet. Er sagte mir, er habe so trockene Stellen an den Händen und ich überliess ihm meine Salbe. Verrückt, gell? Sein Tod geht mir sehr nah, denn dieser Künstler hat mir dieses Brett vom Kopf gerissen. Danke.

10.02.2022 :: Christina Burghagen (cbs)