Ein Alter, das noch etwas vorhat

Oberdiessbach: Heute bekommen ältere Menschen 25 Jahre zusätzlich geschenkt. Mit dieser Langlebigkeit müsse man klug umgehen können, meinte Ludwig Hasler in seinem Referat.

Der Physiker, Philosoph und Publizist Ludwig Hasler war Referent am diesjährigen Bildungsanlass des Seniorennetzwerkes der Region Oberdiessbach. Nach der Jugend- und Erwerbszeit gebe es heute eine neue Lebensphase, über die man sich «noch viel zu wenig Gedanken mache», sagte er. Das vierte, fragile Alter entspreche dann wieder dem, was man früher unter Alt-Sein verstanden habe.  

Ludwig Hasler beschränkte sich bei seinen weiteren Ausführungen aber auf die Herausforderungen des dritten Alters, beginnend mit der Pensionierung. Am schlimmsten sei dabei das Gefühl der Beschäftigungslosigkeit. «Spazieren, höcklen und geniessen» sei zwar schön, aber die Aussicht, dies 20 Jahre lang tun zu müssen,
sei erschreckend. Dementsprechend seien die beiden Hauptleiden im Alter der Alkoholismus und die Depression. Das Gegenmittel sei «das Interesse an etwas anderem als an dem, was man unmittelbar tun muss».


«Was fehlt, ist der Sinn»

Bis vor 30 Jahren sei das Alter als Übergang zu etwas Grösserem empfunden worden. Ohne diese Dimension werde es aber zur Endstation. Jetzt, wo der «Himmelsdruck» weg sei, machten wir uns zunehmend selber Druck und versuchten, «alles herauszuholen, was es zu holen gibt». Was dabei fehle, sei der Sinn. Der Mensch sei aber ein exzentrisches Wesen, betonte der Referent. Er müsse aus seinem Zentrum herauskommen und in eine Geschichte eintauchen. Das oft verloren gegangene Christentum sei zumindest noch «in uns drin». Es sei eine Geschichte von einem Anfang bis zu einem Ende, eine Dramaturgie zwischen Gut und Böse, erklärte Ludwig Hasler. Wir seien dabei zwar winzig, hätten aber eine Funktion. Und das sei entscheidend: «Wir kommen nur zu unserer Bestimmung, wenn wir etwas Grösseres finden als uns selbst, etwas Verbindlicheres, wenn wir eine Rolle auch für andere spielen.»

Der Referent unterschied dabei drei «Aktivitäten»: der Einsatz von Senioren für Senioren, von Alt zu Jung und das Teilnehmen an einem Leben, «das nicht auf mich angewiesen ist», vor allem in Form des Staunens. Als Physiker staune er fast jeden Abend über den Kosmos und das Eingeordnetsein in ein grösseres Ganzes, aber auch über den Gesang einer Amsel im Garten.   

28.10.2021 :: egs