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Soviel zu Tinguely

Erinnern Sie sich an den Tag, an dem Jean Tinguely starb?

Ich schon. Es war ein Freitag im August vor dreissig Jahren, ich war zehn Jahre alt und ich fieberte schon den ganzen Tag einem Abend voller markiger Sprüche und ausufernder Raufereien entgegen.

Der Fernseher bei uns zuhause empfing nur etwa vier Sender: den Schweizer, den Welschen, den Deutschen und – je nach Wetter – den Italienischen. 

An jenem Abend sollte auf dem Schweizer ein Film mit Bud Spencer laufen: «Buddy fängt nur grosse Fische». Meinen Geschwistern und mir war es mit viel Überredungskunst und diplomatischem Geschick gelungen, unsere Eltern zu überzeugen, dass wir länger aufbleiben und diesen Film
sehen durften. Es versprach ein unterhaltsamer Abend zu werden. Wir hatten uns wirklich gefreut.

Aber dann starb Jean Tinguely, und als wir uns nach dem Abendessen voller Vorfreude vor dem Gerät versammelt hatten, hiess es: «Aus aktuellem Anlass ändern wir das Programm.» Anstelle des neapolitanischen Haudraufs flimmerte eine Dokumentation über diesen schnauzbärtigen Basler Alteisenverwerter über den Bildschirm, wie er in einem blauen Overall rauchend und Weisswein trinkend über seine absurden Konstruktionen kletterte, hie und da etwas Farbe verspritzte oder lachend eine Feuerwerksrakete in den Himmel schoss. Es war eine Enttäuschung. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. An jedem beliebigen Tag hätte er das Zeitliche segnen können, aber doch nicht ausgerechnet heute! Wir nahmen ihm das wirklich übel. Und erst recht den Verantwortlichen beim Schweizer Fernsehen. Welcher Clown kam auf die Idee, einfach das Programm zu ändern? Das machte doch diesen Kunstheini auch nicht wieder lebendig! In selbstgerechter, wutbürgerlicher Rage übertrafen wir uns gegenseitig in empörten Schmähungen auf die Ungerechtigkeit der Welt. Es änderte nichts. Wir waren machtlos. Es gab höhere Gewalten, den Tod zum Beispiel oder das Schweizer Fernsehen. Das wurde uns an diesem Abend schmerzlich bewusst. Früher als geplant gingen wir zu Bett, frustriert und mit dem Gefühl, um unser Recht betrogen worden zu sein. 

Ich war danach noch lange schlecht auf diesen Tinguely und seine Kunst zu sprechen. Mittlerweile haben wir uns aber versöhnt. Mehr noch, ich habe ihn schätzen gelernt. Mir gefällt, wie er Sinnlosigkeit mit Schönheit verbinden und den Dingen einen neuen Wert geben konnte.

Den Bud-Spencer-Film habe ich Jahre später dann doch noch gesehen.
Er hielt nicht, was er versprach.

02.09.2021 :: Peter Heiniger