Texte in Leichte Sprache übersetzen. Damit es alle verstehen.

Texte in Leichte Sprache übersetzen. Damit es alle verstehen.
Die übersetzten Texte werden von Personen aus der Zielgruppe gelesen und wenn nötig angepasst. / Bild: zvg
Kanton Bern: Informationen des Kantons sollen vermehrt auch in Leichter Sprache für Personen mit Leseschwierigkeiten zugänglich sein. Doch das Übersetzen ist aufwendig und braucht Zeit.

«Im Kanton Bern dürften heute über 100´000 Menschen Schwierigkeiten beim Lesen haben», schreibt der Regierungsrat in seinem Bericht «Leichte Sprache im Kanton Bern». Im Sommer wird sich der Grosse Rat dem Thema annehmen.

Was bedeutet «Schwierigkeiten beim Lesen»? Mehr als jede sechste Person im Alter von 16 bis 65 Jahren erreicht im Lesen zusammenhängender Texte laut einer Studie nur das tiefste Niveau. Selbst ein einfacher Text stellt diese Personen vor unüberwindbare Verständnisprobleme. Das kann durch kognitive Beeinträchtigungen, Lese- und Lernschwierigkeiten oder geringe Sprachkenntnisse bedingt sein.

Übersetzen ist nicht leicht 

Die Leichte Sprache hat ihren Ursprung in Amerika (siehe Kasten). «Texte in Leichter Sprache entsprechen dem Leseniveau A1/A2», sagt Gloria Schmidt, Fachverantwortliche Leichte Sprache bei Pro Infirmis Zürich. Es gebe verschiedene Regelwerke und Richtlinien, an die sich Übersetzerinnen halten würden. Ein so verfasster Text vermittelt nur die wichtigsten Informationen, und das in einer logischen Reihenfolge. Pro Satz wird nur eine Aussage gemacht. Jeder Satz beginnt auf einer neuen Zeile. Der Wortschatz beschränkt sich auf häufig gebrauchte Wörter der Alltagssprache. Sind Fachwörter nicht zu vermeiden, werden sie erklärt. Lange, zusammengesetzte Wörter werden mit Bindestrich geschrieben. Verwendet wird mindestens Schriftgrösse 14. «Wichtig beim Übersetzen ist, dass man direkt schreibt, was man meint. Ironie oder Bildsprache wird nicht verstanden», ergänzt Gloria Schmidt. Die Aussage der Texte könnten zudem mit Bildern oder – auf Webseiten – mit Videos unterstützt werden. 

Übersetzt Gloria Schmidt einen Text in Leichte Sprache, gibt sie diesen anschliessend in die Prüfgruppe. «Es ist sehr wichtig, dass direkt Betroffene eine Rückmeldung geben können, ob sie den Text verstehen und was noch anzupassen ist.» 

Fünf Kriterien aufgestellt

Die Stadt Bern bietet bereits zahlreiche Inhalte in Leichter Sprache an. «Wir haben fünf Kriterien aufgestellt, anhand denen wir beurteilen, was wir übersetzen», erklärt Rahel Reinert, Leiterin der Fachstelle Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen der Stadt Bern. So komme es zum Beispiel darauf an, wie häufig ein Webinhalt genutzt werde, wie relevant ein Thema für die Zielgruppe sei und was Pflichtcharakter habe. «Ziel ist, dass Personen mit einer Beeinträchtigung selbständig und unabhängig wichtige Informationen beschaffen können», betont Rahel Reinert. Dies biete auch für die Stadtverwaltung und -behörden Vorteile. «Je besser die Leute Informationen und Anweisungen verstehen, desto weniger Missverständisse entstehen.» Bereits aufbereitet sind Themen wie Abfallentsorgung, Kinderbetreuung oder Schwimmen in der Aare, weitere folgen bis Ende Jahr. 

Vorerst die Einfache Sprache

Auch der Regierungsrat schlägt vor, Leichte Sprache gezielt dort einzusetzen, wo Informationen die Zielgruppe direkt betreffen. Bis es soweit ist, dauert es aber noch, denn es braucht personelle und finanzielle Ressourcen. Eine Seite in Leichter Sprache enthalte maximal 1650 Zeichen und koste einschliesslich Prüfung durch die Zielgruppe, je nach Komplexität des Themas, 150 bis 300 Franken, steht im Bericht. Die Staatskanzlei schätzt die Initialkosten für die Webseite auf 100´000 Franken, die Betriebskosten – einschliesslich Übersetzungen – auf 50´000 Franken pro Jahr. Die entsprechenden Mittel könnten aufgrund der finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise frühestens ab 2023 ins Auge gefasst werden. Breiter und schneller einsetzen möchte der Regierungsrat dagegen die Einfache Sprache. Diese ist etwas komplexer, aber immer noch leicht verständlich (Niveau B1). Die Zielgruppe sei viel grösser, hält der Regierungsrat fest, der Mehraufwand relativ gering. Einfache Sprache wird nicht übersetzt, sondern direkt geschrieben. «Es braucht aber auch hier eine Sensibilisierung und allenfalls Schulung der Mitarbeitenden, die Onlinetexte, Briefe, Broschüren und Formulare verfassen.»

Die Geschichte der Leichten Sprache

Dieser Text ist in Leichter Sprache geschrieben: 

Es begann in Amerika vor ungefähr 50 Jahren.

Menschen mit Lern-Schwierig-keiten waren benachteiligt.

Sie wollten sich das nicht mehr gefallen lassen.

Sie haben für ihre Rechte gekämpft. 

Für Gleich-Berechtigung und
für mehr Selbst-Bestimmung.

Sie nannten sich People First.

Das spricht man: Piepl Först.

Und es bedeutet: Mensch zuerst.

Sie wollten damit sagen:

Zuerst einmal bin ich ein Mensch.

Meine Behinderung soll nicht im Mittelpunkt stehen.

Ungefähr 20 Jahre später kam diese Idee auch nach Europa.

Das war im Jahr 1990.

Quelle: www.leichte-sprache.org

15.04.2021 :: Silvia Wullschläger (sws)