Jugendliche trinken mehr Alkohol – welche Rolle spielt dabei Covid-19?

Jugendliche trinken mehr Alkohol – welche Rolle spielt dabei Covid-19?
Im letzten Jahr griffen mehr Jugendliche als 2019 regelmässig zum Alkohol. / Bild: Rebekka Schüpbach (srz)
Emmental: Eine Umfrage zeigt, dass Jugendliche 2020 deutlich mehr Alkohol- und Tabak konsumiert haben, verglichen mit dem Jahr 2019. Die Pandemie könnte ein Grund dafür sein.

«Wir gehen davon aus, dass die Covid-19-Krise nicht spurlos an den Kindern und Jugendlichen vorbeigeht», sagt Markus Wildermuth vom Blauen Kreuz. «Gerade wenn die familiäre Situation, etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit oder unsicheren Perspektiven, instabiler wird, kann dies auch Auswirkungen auf den Substanzkonsum haben.» 

Jedes Jahr führen Wildermuth und weitere Mitarbeitende des Blauen Kreuz in Berner Oberstufenklassen Workshops zum Thema Suchtprävention durch. Dabei werden auch anonyme Fragebogen an die Jugendlichen verteilt. Die gewonnenen Daten zeigen unter anderem auf, wie viel Alkohol und Tabak Leute zwischen zwölf und 17 Jahren konsumieren.

Vermehrt Alkohol konsumiert

Bei der Auswertung trat zutage, dass sich im Corona-Jahr 2020 diese Zahlen gegenüber 2019 teilweise stark erhöht haben. Beispielsweise gaben 43 oder 4,4 Prozent der insgesamt 974 befragten Jugendlichen aus der Agglomeration Bern und weiteren Gemeinden an, wöchentlich Alkohol zu trinken. Zum Vergleich: 2019 waren es noch 1,7 Prozent. Noch höher ist die Zahl derer, die monatlich Alkohol konsumierten, nämlich 11,1 Prozent. Das sind fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. 2019 gab jeder 30. Schüler an, schon mindestens zwei Mal betrunken gewesen zu sein. Ein Jahr später war es bereits jeder 20. 

Interessant ist, dass in den drei befragten Emmentaler Gemeinden Sumiswald, Oberdiessbach und Linden der Alkoholkonsum bei Oberschülern noch kein Thema zu sein scheint. Das heisse aber nicht unbedingt, dass der Konsum auf dem Land generell weniger hoch sei, betont Markus Wildermuth. Hingegen beim Tabak-Konsum sei ein deutlicher Stadt-Land-Graben spürbar, beobachtet der Berater: «Auffällig ist, dass Jugendliche auf dem Land viel mehr Snus und Schnupftabak konsumieren als Jugendliche in der Stadt.» Diese Tendenz zeichnet sich auch bei den Zahlen aus den drei erwähnten Emmentaler Gemeinden ab. Dort gaben im vergangenen Jahr 11,1 Prozent der Oberschüler an, mindestens jeden Monat Snus (Lutschtabak) oder Schnupftabak zu konsumieren. Der Berner Durchschnitt lag lediglich bei 7,7 Prozent. Ähnlich oft wird Tabak inhaliert: 2019 griffen noch 3,5 Prozent der Befragten mindestens einmal im Monat zur Zigarette oder rauchten Shisha, im Jahr 2020 waren es bereits 6,6 Prozent aller befragten Jugendlichen. In Sumiswald, Oberdiessbach und Linden hingegen rauchten prozentual nur halb so viele.

Weniger Ausgleichsmöglichkeiten

Matthias Rauh von der Stiftung Berner Gesundheit, die unter anderem in Langnau Suchtberatungen durchführt, sieht auch das durch die Corona-Massnahmen veränderte Freizeitverhalten als möglichen Auslöser für erhöhten Konsum von Suchtmitteln. «Wenn Jugendliche ihre Bedürfnisse und Hobbys nicht mehr ausleben können, weil das Freizeitangebot eingeschränkt ist, besteht die Gefahr, dass sie eher zum Alkohol greifen», meint Rauh. Zudem könnten familiäre Konflikte mit engen Platzverhältnissen verstärkt werden, wenn Vereinsaktivitäten oder Treffpunkte wegfallen, weil es dann weniger Ausgleichsmöglichkeiten gebe.

Erhöhter Konsum ist das eine, Sucht das andere. Diesbezüglich stelle die «Berner Gesundheit» im Emmental keine erhöhte Tendenz fest, so Matthias Rauh. «Gerade im Raum Emmental ist die Jugendarbeit präventiv unterwegs», sagt er. «Wir merken, dass Jugendliche, die in die Beratung kommen, meist gut informiert sind.» Dazu beitragen würden auch Gesundheitsplattformen wie «feel-ok.ch». Dort kann man unter anderem einen interaktiven Mobile-Coach in Form einer App herunterladen. Auf der Webseite der «Berner Gesundheit» finden Betroffene und Angehörige unter anderem einen Selbsttest und Beratung. Hilfe holen kann man sich auch persönlich bei den verschiedenen Beratungsstellen. «Zu uns werden Jugendliche mit Mehrfachbelastung häufig durch ihre Eltern oder die Erziehungsberatung überwiesen», erklärt Matthias Rauh. 

Keine Zunahme bei Cannabis

Wie aber merkt man als Eltern, dass bei der Tochter oder beim Sohn eine Sucht vorliegen könnte? «Alarmzeichen können sein, dass die Schulleistung abnimmt, Abmachungen nicht eingehalten werden, der Jugendliche sich zurückzieht und das Gespräch meidet, wenn er oder sie die Schule schwänzt oder sich häufig verschläft», zählt Matthias Rauh auf. Zudem könnten auch finanzielle Probleme auftreten.

Trotz allem: In Sachen Sucht hatte das Jahr 2020 auch gute Seiten: Der Konsum des illegalen Rauschmittels Cannabis habe nur unwesentlich zugenommen, stellte das Blaue Kreuz bei seiner Umfrage fest. Bei der «Berner Gesundheit» gingen die Beratungen zu diesem Thema sogar leicht zurück. Gründe dafür, so vermutet Matthias Rauh, könnten sein, dass sich die Jugendlichen weniger im öffentlichen Raum getroffen haben und entsprechende Angebote stark eingeschränkt waren.


Hilfe finden Betroffene und Angehörige bei der Schulsozialarbeit oder bei den verschiedenen Angeboten, sei es online oder persönlich: www.besofr.blaueskreuz.ch; www.bernergesundheit.ch; www.safezone.ch; www.feel-ok.ch

21.01.2021 :: Rebekka Schüpbach (srz)