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Wir sind Bettler

«Wir sind Bettler. Das ist wahr.» Das soll der Reformator Martin Luther am Tag vor seinem Tod noch auf einen Zettel geschrieben haben, als Vermächtnis sozusagen. Aber heute müssen wir ihm widersprechen. Wir fühlen uns nicht als Bettler, wir sind Macher. Wir schmieden unser Glück selber. Und sollte es uns trotzdem mal abhandenkommen, haben wir das Recht auf Unterstützung: Sozialhilfe, Krankenkassen, gemeinnützige Institutionen bewahren uns davor, betteln zu müssen. Bettler haben kein Recht auf Almosen. Sie wissen nicht, was morgen sein wird, leben von der Hand in den Mund, sind darauf angewiesen, dass jemand sich ihrer erbarmt, ihnen Essen und Unterschlupf gibt und sie vor Krankheit verschont bleiben. Bettler planen nicht. Unser Leben dagegen ist durchgeplant. Wir wissen, wann wir arbeiten und Ferien haben, wann die Kinder aus der Schule kommen, wann wir pensioniert werden – falls nicht etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommt. So sind Überraschungen im Leben für uns meist negativ, denn das Positive planen wir ja. Luther selber musste nie betteln, er befand sich zeitlebens in einer privilegierten Situation. Wohl erst in der Rückschau realisierte er, dass all das nicht selbstverständlich war. Es hätte auch ganz anders kommen können. Und: Er, der in seinen jungen Jahren alles daransetzte, gut und akzeptiert und erfolgreich zu sein, entdeckte: Das kannst du nicht selber machen, das muss dir geschenkt werden. Und das machte ihn innerlich frei von diesem Druck. «Gnade» wurde eines seiner Lieblingswörter: unverdientes Geschenk. Wahrscheinlich war er weiterhin fleissig, aber es bekam einen -anderen Stellenwert, es musste nicht mehr sich selber erlösen. Er musste nur darauf vertrauen, dass ein anderer ihm das gab. Wie ein Bettler. Denn das Wesentliche im Leben ist ein Geschenk.

14.01.2021 :: Samuel Burger