Vom Kanzeltausch bis zur Fusion – so arbeiten Kirchgemeinden zusammen

Vom Kanzeltausch bis zur Fusion – so arbeiten Kirchgemeinden zusammen
Bild: Jürg Kühni (JKB)
Schlosswil: Seit Jahren ist der Kirchgemeinderat unterbesetzt. «Wie sieht unsere Zukunft aus?», fragt er sich. Ein Berater der ­reformierten Kirchen Bern-Jura-­Solothurn zeigt Möglichkeiten auf.

Seit sieben Jahren ist Jürg Herrmann im Rat der Kirchgemeinde Schlosswil-Oberhünigen, seit drei Jahren präsidiert er diesen. Auf Ende Jahr hat er demissioniert. «Mein grosses Ziel, den Rat zu komplettieren, konnten wir nicht erreichen», zieht er Bilanz. Glücklicherweise übernehme der bisherige Vizepräsident die Leitung und ein neues Mitglied habe auch gefunden werden können, doch der siebte Sitz bleibe vakant. Er ist es seit Jahren. «Wir haben unzählige Leute angefragt, haben ein Dossier zusammengestellt, damit sich Interessente ein Bild von der Arbeit machen können», erzählt der Präsident. Geerntet hat der Rat am Schluss trotzdem Absagen. Als Gründe angeführt würden berufliche und familiäre Verpflichtungen oder anderweitige Engagements. Andere fühlten sich zu wenig mit der Kirche verbunden.

Präsenz der Kirche wird geschätzt

«Es ist nicht so, dass der laufende Betrieb nicht mehr gewährleistet wäre», betont Jürg Herrmann. Im Gegenteil: Der Kirchgemeinderat und auch Pfarrer Andreas Zingg seien sehr engagiert. «Wir hatten einen Weihnachtszauber im Pfarrhof, es gibt Jazz-Gottesdienste und Kinder haben den Senioren eine Oster- und Weihnachtsüberraschung vorbeigebracht», nennt Herrmann Beispiele. Das komme gut an, die Leute attestierten der Kirche eine grössere Präsenz als noch vor ein paar Jahren. «Das freut uns natürlich, aber all die Anlässe müssen organisiert sein. Da ist jedes Ratsmitglied gefordert.» An die Grenzen gelange man, wenn Sonderaufgaben hinzukämen wie etwa ein Stellenwechsel bei der Pfarrperson oder aktuell die ständig wechselnden Massnahmen wegen Corona. «Das geht an die Substanz.» 

Aus diesen Gründen hat der Kirchgemeinderat an der Dezember-Versammlung das Thema «Zukunft Kirchgemeinde Schlosswil-Oberhünigen» traktandiert. Sie hätten den Puls der Mitglieder fühlen wollen, so Herrmann. Gekommen seien leider nur drei Personen. Im Raum stehe etwa eine engere Zusammenarbeit mit der Kirchgemeinde Grosshöchstetten. Bei der Kirchlichen Unterweisung (KUW) ist dies teilweise bereits der Fall. Zudem hat Pfarrer Andreas Zingg, der zu 70 Prozent angestellt ist, in der Kirchgemeinde Grosshöchstetten das 30-Prozent-Pensum für Oberthal übernommen. An der Versammlung sei am Rand auch eine Fusion thematisiert worden, erklärt der scheidende Präsident. Er ist überzeugt, dass die Diskussionen im nächsten Jahr weitergeführt werden müssen. «Wir stehen erst am Anfang.» 

Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Ralph Marthaler begleitet Kirchgemeinden in diesem Prozess. Er ist bei den reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn zuständig für den Bereich Gemeindedienste und Bildung. «Verbreitet ist eine Zusammenarbeit etwa beim Kanzeltausch und bei der Heimseelsorge.» Auch die KUW biete sich an, vor allem dort, wo die Kinder in einer Nachbargemeinde zur Schule gehen würden. Als weiteren Bereich nennt Marthaler die Administration, die ganz oder teilweise zusammengelegt werden könne. «Das erlaubt es einerseits, professioneller zu arbeiten, andererseits fliessen die Informationen schneller und besser. Die eine Kirchgemeinde weiss von der anderen, welche Projekte sie plant und beteiligt sich vielleicht beim einen oder andern», so die Erfahrung von Ralph Marthaler. 

Manchmal münde eine intensive Zusammenarbeit in eine Fusion. «Man sieht keinen Sinn mehr darin, zwei Kirchgemeinden zu führen.» Dies könne ebenso der Fall sein, wenn politische Gemeinden fusionierten. Auch der Mangel an Mitgliedern im Rat sei ein Auslöser, über eine Fusion nachzudenken. Bei diesem Prozess dürfe sich der Rat nicht durch mangelndes Interesse der Gemeindemitglieder entmutigen lassen, betont der Berater. «Die Leute interessieren sich meist nicht für die Strukturen der Kirche, für sie zählt vielmehr das Angebot und die Präsenz.»

Es geht nicht nur um die Strukturen 

Eine Grundvoraussetzung, dass eine Fusion gelingen kann, sieht Ralph Marthaler in der Beziehung untereinander. «Die beiden Kirchgemeinderäte wie auch die Pfarrpersonen sollten sich bereits kennen. Es braucht Vertrauen, etwa dass man als kleinere Kirchgemeinde nicht einverleibt wird.» Zentral sei weiter, über die jeweiligen Kulturen und Frömmigkeitsstile zu sprechen. Eine liberale Kirchgemeinde und eine solche mit einer eher schrifttreuen Bibelauslegung zum Beispiel wiesen grosse Unterschiede auf. Selbst wenn diese weniger offensichtlich seien, müsse die Diskussion auch nach einem Zusammenschluss weitergeführt werden. «Die Arbeit ist nicht beendet, wenn die Strukturen fusioniert sind. Man muss weiter darüber reden, was man wie anbietet, wie man die Gemeindemitglieder zusammenbringt», betont Ralph Marthaler. 

Vielfältiger und zufriedener

Gelinge eine Fusion, biete dies viele Vorteile für die Arbeit in der Kirchgemeinde, so die Erfahrung des kirchlichen Beraters. Das Angebot werde vielfältiger, ohne dass es mehr Ressourcen brauche. Die Mitarbeitenden und Freiwilligen könnten vermehrt ihren Begabungen entsprechend eingesetzt werden, was die Zufriedenheit fördere. «Es gibt auch wieder mehr Zeit und Raum für Kreativität, neue Ideen entstehen. Davon profitieren letztlich alle.»

31.12.2020 :: Silvia Wullschläger (sws)