Leben mit viel Bewegung

Leben mit viel Bewegung
Stefan und Marianne Gerber mit «Santana», einer eineinhalbjährigen Freibergerstute aus eigener Zucht. / Bild: Veruschka Jonutis (vjo)
Walkringen: Die Haltung im neuen Aktivstall der Familie Gerber orientiert sich am natürlichen Verhalten der Pferde. Für die Futteraufnahme legen sie dabei einige Extra-Kilometer zurück.

Die vier Pferde trotten gemächlich hintereinander den Pfad entlang. Beim Eingang zur Weide machen sie Halt. «Wir lassen die Pferde immer etwa um diese Zeit auf die Weide, das wissen sie ganz genau und stehen schon bereit», sagt Marianne Gerber. Zusammen mit ihrem Mann Stefan hat sie vor wenigen Wochen einen Aktivstall eröffnet. Sie stösst das Tor auf und die kleine Gruppe stürmt im wilden Galopp und mit Bocksprüngen auf die Wiese. «Man könnte bei diesem Anblick meinen, die Tiere hätten zu wenig Bewegung», meint Stefan Gerber und lacht. Die neu erstellte, rund 1,5 Hektaren grosse Stallanlage mit Weide unterstützt den natürlichen Bewegungsdrang der Pferde, die in der freien Natur täglich viele Kilometer zurücklegen. «Zum Beispiel müssen die Tiere, um vom Fressplatz zur Wasserstelle oder zur Liegefläche zu gelangen, mehr als hundert Meter zurücklegen. Da kommen im Verlauf des Tages schon grössere Distanzen zusammen», erklärt Marianne Gerber das Konzept. 

Swimmingpool für Pferde

Die Pferde könnten sich in der Gruppe komplett frei bewegen und selber entscheiden, ob sie zusammenstehen oder eher für sich bleiben möchten, sagt Stefan Gerber. «Wir versuchen, mit unserem Aktivstall so nah wie möglich an eine naturnahe Lebensweise heranzukommen. Die Tiere sollen selber wählen, ob sie die Sonne, den Wind und den Regen auf dem Fell spüren wollen oder lieber im Stall Schutz suchen. Da Wildpferde stundenlang auf der Suche nach Nahrung sind, finden auch unsere Tiere während 24 Stunden an unterschiedlichen Orten Heu.» Nebst den Pfaden, den sogenannten Trails, welche die einzelnen Stationen verbinden, sorgt ein Bassin für Abwechslung. «Bis jetzt ist noch kein Pferd baden gegangen, aber das ist ja bei diesen frostigen Temperaturen auch nicht verwunderlich. Wir sind gespannt, wie das Schwimmbecken im Sommer Anklang finden wird», sagt Marianne Gerber. 

Auch weitere Beschäftigungsmöglichkeiten wie Äste zum Knabbern oder querliegende Baumstämme zum Darübersteigen können noch eingebaut werden. Aber zuerst will das Ehepaar beobachten, wie sich die Gruppe mit dem Bestehenden zurechtfindet. «Bis jetzt scheint es zu passen. Die Pferde sind ruhig und ausgeglichen, sie pflegen den Sozialkontakt untereinander, was sich positiv auf ihre Psyche auswirkt», hält die 46-Jährige fest. 

Eigene Freibergerzucht

Vor einem Jahr konnten Stefan und Marianne Gerber den Betrieb im Gässli Walk-ringen kaufen, der rund 200 Meter vom elterlichen Hof entfernt liegt, wo die Familie wohnt. Dort betreiben die Gerbers seit 16 Jahren eine Zucht mit dunkelfarbenen Freibergern. Marianne Gerber ist mit Pferden gross geworden, bereits ihr Vater züchtete Freiberger. «Wir halten unsere vier Zuchtstuten – eine davon ist im Ruhestand – auf unserem Hof. Der neue Stall ist für Pensionspferde gedacht. Es würde viel Unruhe in die Gruppe bringen, wenn wir unsere Stuten mit den Fohlen integrieren würden», erklärt die Mutter von 12-jährigen Zwillingen. «Für uns war klar, dass wir den Betrieb mit Pensionspferden bewirtschaften möchten», blickt Stefan Gerber zurück. In Deutschland gebe es die Aktivstallhaltung schon länger; in die Schweiz schwappe der Trend erst langsam über. «Die Idee faszinierte uns, und nach der Besichtigung mehrerer Ställe waren wir sicher, dass diese Haltungsform unseren Vorstellungen entspricht», meint Stefan Gerber.

Eingewöhnen braucht Zeit

Als gelernter Maurer mit einem eigenen Geschäft ist Stefan Gerber vor allem für die handwerklichen Aufgaben auf den Betrieben verantwortlich, währenddem Marianne Gerber für das Wohl der Tiere sorgt. Zurzeit leben vier Pferde im Aktivstall, zwei weitere kommen im Verlauf der nächsten Wochen dazu. Die Neuankömmlinge werden zum Angewöhnen in einem separaten Bereich untergebracht, der aber den Kontakt zu den neuen Gefährten ermöglicht. Die Integra-tionsphase könne von wenigen Tagen bis zu einigen Wochen dauern, erklärt Marianne Gerber. «Ich halte es für ideal, wenn nicht auf einen Schlag mehrere Tiere neu in die Gruppe kommen. Dies würde ein zu grosser Stress für alle bedeuten.» 

Der Aktivstall Walkringen bietet Platz für 13 Pferde. Es seien Pferde aller Rassen und jeden Alters willkommen – einzig für Hengste oder sehr dominante Tiere sei ihr Stall nicht geeignet. «Hengste würden für unerwünschten Nachwuchs sorgen», hält Marianne Gerber fest. 

Die kleine Herde auf der Weide hat sich mittlerweile dem Fressen zugewendet. «Im Moment ist die Konstellation harmonisch und entspannt. Unser Bestreben ist es, dies so beizubehalten.»

03.12.2020 :: Veruschka Jonutis (vjo)