Während fast sieben Jahren habe ich Tagebuch geführt. Jeder Kalendertag fand auf einer Seite mit jeweils sieben Abschnitten Platz. Es gehörte zu meinem abendlichen Ritual, in wenigen Sätzen zu notieren, was sich ereignet und mich bewegt hat. Oft auch Notizen zu Wetter und Weltgeschehen. Zugleich konnte ich jeweils die Einträge oberhalb lesen und wurde so daran erinnert, wie sich derselbe Tag vor zwei oder drei Jahren gestaltet hatte. Begonnen habe ich mit den Einträgen, als ich mit unserem ersten Kind schwanger war. Das Tagebuch zeugt deshalb auch von dieser ganz einschneidenden Veränderung, wenn aus einem Paar eine Familie wird. Zu Beginn wurden kurze Nächte noch ausführlich protokolliert, mittlerweile hat man sich daran gewöhnt. Als überflüssig empfinde ich meine Notizen hingegen nie, wenn sie mich an die ersten Schritte der Kleinen, an ein ausgelassenes Hochzeitsfest oder an wohltuende Komplimente erinnern. Oder ich staune: Stimmt, damals hat es im Mai noch geschneit! Die festgehaltenen Gedanken zu meinem Innen- und Aussenleben erinnern mich zudem daran, dass alles im Fluss ist. Sie zeigen mir, dass scheinbare Sackgassen plötzlich in die Freiheit führen können. So haben sich gross gesetzte Ausrufezeichen im Verlauf eines Jahres oft selbst relativiert. Manchmal weiss ich nicht einmal mehr, wieso ein Eintrag so heftig ausfallen musste. Und so übe ich mich in Gelassenheit. Und nehme Rainer Maria Rilke zu Hilfe: «Man muss Geduld haben / Gegen das Ungeklärte im Herzen.» Liebes Tagebuch. Danke, dass du meine Frage- und Ausrufezeichen sowie Gedankenstriche, Klammern und Anführungs-zeichen beherbergst. Punkt.
Am 2. November lesen bekannte und unbekannte Persönlichkeiten in Langnau aus ihren alten Tagebüchern vor. Kommen Sie auch!